Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, erklärt:

I. Politische Bewertung und Handlungskonzept
Wegen der angekündigten Preissteigerung für bestimmte Lebensmittel haben Ministerpräsidenten und Minister von CDU/CSU in den vergangenen Tagen mit einer Änderung der Anpassung der Grundsicherung jongliert, sie teils recht klar in Aussicht gestellt.

Sachkenntnis wäre hilfreich. Und die berechtigten Fragen der Betroffenen sind zu ernst und das Thema generell ist zu wichtig, als dass es mit populistischen Parolen sein Bewenden haben könnte.

Ich steige gern in eine ernsthafte Prüfung der Thematik ein und leite deshalb entsprechende Maßnahmen ein.

Sie gelten drei Zielen: 1. Der Anpassungsmechanismus des Existenzminimums muss plausibel und kann nicht beliebig sein. 2. Das gilt für die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und von Grundsicherung (ALG II) gleicherweise. 3. Die Sozialtransfers des Bundes müssen sinken und dürfen nicht steigen; dazu ist ein genereller Mindestlohn erforderlich.

Mit der Realisierung dieser drei Ziele kann die Koalition ein sozial plausibles und volkswirtschaftlich sinnvolles Paket schnüren.

II. Maßnahmen Der Bundesminister für Arbeit und Soziales lässt durch das BMAS prüfen, 1. wie sich Preisentwicklungen in 2006 und 2007 für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und von Grundsicherung (ALG II) ausgewirkt haben oder in den kommenden Monaten auswirken werden; für 2008 soll eine Prognose erstellt werden, 2. welche Konsequenzen sich ergeben, wenn der zum 1. Juli 1997 durchgeführte Wechsel der jährlichen Anpassung der Sozialhilfe hin zum Rentenanpassungsfaktor weiter gilt oder durch andere Regelungen, etwa die Inflationsrate oder den Verbraucherpreisindex, ersetzt würde. 3. wie durch Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes garantiert werden kann, dass die Ausgaben für Grundsicherung (ALG II) des Bundes, die in 2007 voraussichtlich rund 23 Milliarden Euro betragen, sinken und wie bei eventuellen Änderungen im System der Existenzsicherungs-Anpassung der Aufbau zusätzlicher Kosten für den Bundeshaushalt vermieden wird; dabei sind auch die Auswirkungen auf das steuerliche Existenzminimum zu beachten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird seine Ergebnisse bis Ende November 2007 vorlegen. Noch in 2007 sollte die Koalition eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen.

III. Erläuterungen zum Thema: Die Einkommens-Verbraucher-Statistik (EVS) Den Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe und - seit 2005 - auch denen von Grundsicherung (ALG II) ist gesetzlich das soziokulturelle Existenzminimum garantiert. Die Definition des Existenzminimums ist objektiv schwierig und seit jeher umstritten. Im Oktober 1989 beschloss die MP-Konferenz, das Statistikmodell als neues Bedarfsbemessungssystem zur Festlegung der Regelsätze für Sozialhilfe einzuführen. Seitdem wird die EVS genutzt. Die EVS ist eine amtliche Statistik über die Lebensverhältnisse privater Haushalte in Deutschland, die in einem Turnus von 5 Jahren durchgeführt wird. Sie liefert u.a. statistische Informationen über die Konsumausgaben privater Haushalte und ihre Wohnverhältnisse. Einbezogen werden Haushalte aller sozialen Gruppierungen. Für die Bemessung des Regelsatzes in der Sozialhilfe sind die Verbrauchsausgaben der untersten 20 % der Einpersonenhaushalte der EVS zu Grunde gelegt. Die Bezieher von Sozialhilfe und Grundsicherung sind dabei nicht in die Statistik einbezogen. In der EVS werden gut 50.000 Haushalte befragt, die ihre Angaben per Hand in ein Haushaltsbuch eintragen. Die vom Gesetzgeber so festgestellte Höhe des Regelsatzes wurde zwischenzeitlich (BSG in 2006) ausdrücklich in der Höhe des Regelsatzes als verfassungskonform bestätigt. Mit der Arbeitsmarktreform wurde 2004 beschlossen, dass die Regelsätze der Sozialhilfe das Referenzsystem sind für die Grundsicherung (ALG II). Dieses System und die Höhe der Regelsätze wurden im Jahr 2006 im Bundestag und im Bundesrat mit den Stimmen der Ministerpräsidenten ausdrücklich so beschlossen.

Der Anpassungsmechanismus Für die Zeit zwischen zwei Statistiken (2003, dann wieder 2008) gilt ein Anpassungsmechanismus: 1993 - 1995 nach Nettolohnentwicklung. 1996: 1 % festgesetzt Ab 1997 (jeweils 1.7.) nach dem Rentenanpassungsfaktor: 1997: 1,43 %, 1998: 0,23 %, 1999: 1,34 %, 2000: 0,6 %, 2001: 1,91 %, 2002: 2,16 %, 2003: 1,04 %, 2004-2006: 0,0 % (da keine Rentenanhebung), 2007: 0,54 %.

Bis zum Jahre 2003 lag der Rentenanpassungsfaktor im Schnitt oberhalb der Inflationsrate. Zu beachten ist, dass Steigerungen der Wohnkosten nicht zu Lasten der Empfänger von Sozialhilfe und Grundsicherung gehen. Eine Änderung des Anpassungsmechanismus muss in ihrer Wirkungsweise genau bedacht werden: Preissteigerungen, Preissenkungen, die generelle Inflationsrate, der - seinerzeit abgeschaffte - Nettolohnindex und der Rentenanpassungsfaktor sind in ihrer jährlichen Entwicklung nicht präzise vorhersehbar. Im Jahr 2001 hat es ausnahmsweise einen Heizkostenzuschuss für Sozialhilfeempfänger gegeben angesichts eines dramatischen Anstiegs von Heizkosten.

Kosten des Bundes Die Kosten für die Grundsicherung (ALG II) sind auch deshalb so hoch und sinken kaum - in diesem Jahr muss der Bund rd. 23 Mrd. Euro zahlen -, weil im Niedriglohnbereich zunehmend durch sittenwidrig niedrige Löhne der Staat zu Sozialtransfers gezwungen wird, um so das gesetzlich garantierte sozialkulturelle Existenzminimum der Betroffenen zu garantieren. Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns reduziert die Last der Sozialtransfers deutlich und bietet Platz für weitergehende Überlegungen.

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult