Liebe Angehörige von Adam Sewenig,
meine Damen und Herren,

Günter Demnig hat vor dem Haus Alte Döhrener Straße 27 einen Stolperstein verlegt für Adam Sewenig. Hier wohnte Adam Sewenig mit seiner Familie, als er am 14. Dezember 1936 von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen wurde. Sein Vergehen war ein Akt des eher leisen Widerstands gegen die Nazis, an dem sich reichsweit hunderte von Menschen beteiligten.

Alle gehörten der Glaubensgemeinschaft der “Zeugen Jehovas“ an, die die Nazis als „Bibelforscher“ markiert hatten.

Am 12. Dezember 1936 beteiligt sich Adam Sewenig an der Verbreitung der „Luzerner Resolution“, die die Zeugen Jehovas im September 1936 in der schweizer Stadt verabschiedet hatten. Darin heißt es: „Wir rufen alle gutgesinnten Menschen auf, davon Kenntnis zu nehmen, dass Jehovas Zeugen in Deutschland, Österreich und anderswo grausam verfolgt, mit Gefängnis bestraft, und auf teuflische Weise misshandelt und manche von ihnen getötet werden“.

Etwa 12.000 Exemplare dieser Erklärung sind am 12. Dezember 1936 im Raum Hannover verteilt worden. Hannover war damit ein Zentrum des Widerstands der Zeugen Jehovas. Reichsweit werden an jenem Dezembertag des Jahres 1936 100.000 Exemplare verteilt. Die Verbreitung der Luzerner Resolution gilt rückblickend als größte Widerstandsaktion während der Nazi-Zeit. Adam Sewenig muss sich bewusst gewesen sein, welches Risiko er mit der Verbreitung der „Luzerner Resolution“ eingeht, denn seit 1934 werden die „Bibelforscher“ von der Gestapo systematisch überwacht.

Mit dem 14. Dezember 1936 beginnt das Martyrium des Adam Sewenig, das nach der Ermordung am 3. April 1942 mit der Verbrennung in einem Krematoriumsofen deutsch-korrekt zu den Akten gelegt wird. Die deutsche Polizei leistet ganze Arbeit. Im Hannoverschen Polizeipräsidium wird er schwer gefoltert. Diese Qualen übersteht seine Seele nicht. 1937 verurteilt ein Sondergericht Adam Sewenig wegen „Heimtücke“ zu zehn Monaten Gefängnis.

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis beginnt für Adam Sewenig eine beispiellose Leidenstour. 1939 wird er in Neustadt am Rübenberge zwangssterilisiert. Anfang April 1941 wird er in die Nervenheilanstalt Langenhagen eingeliefert und Ende desselben Monats in die Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf überwiesen. Welch ein beschönigender Name für eine Institution, die aus heutiger Sicht als Durchgangsstation in die Tötungsanstalten anzusehen ist.

Am 1. August wird Adam Sewenig mit einem Massentransport in die Filiale Eichberg der Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Dort ist er wahrscheinlich am 3. April 1942 ermordet worden. Der Mörder ist aktenkundig. Er heißt Friedrich Mennecke, ist Arzt und NSDAP-Mitglied seit 1932. Seit Februar 1942 ist Mennecke Selektionsreisender für die Euthanasie. Mennecke ist Leiter der Tötungsanstalt Eichberg und Ortsgruppenleiter der NSDAP.

Nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus wird Friedrich Mennecke in Frankfurt am Main vor Gericht gestellt und am 21. Dezember 1946 wegen Mordes zum Tode verurteilt, weil er „an der Massentötung des sogenannten Euthanasieprogramms als Mittäter teilgenommen hat“. Mennecke legt Revision ein und wird zum Hauptzeugen während des Nürnberger Ärzteprozesses. Dort versucht er sein Gewissen zu erleichtern, indem er sich seit 1942 „aus innerer Überzeugung“ zum Gegner der unmenschlichen und grausamen nationalsozialistischen Politik emporstilisiert. Noch Anfang 1943 jedoch brüstete sich der vermeintliche Nazi-Gegner Mennecke in einem Brief an seine Frau mit den Worten, er habe „ein Gutachten zurechtgezimmert, über das er sich selbst freut. Der Mann wird wahrscheinlich zum Tode verurteilt.“

Nach der Widerstandsaktion der Zeugen Jehovas am 12. Dezember 1936 sind reichsweit etwa 8.800 Mitglieder der Glaubensgemeinschaft verhaftet worden. 2.800 von ihnen mussten in deutschen Konzentrationslagern den lila Winkel tragen. 370 Zeuginnen und Zeugen Jehovas wurden hingerichtet. Insgesamt wurden 950 ums Leben gebracht. Einer von ihnen war Adam Sewenig, den wir heute hier in der Alten Döhrener Straße 27 mit der Verlegung eines Stolpersteins ehren. Ich verneige mich vor einem mutigen Mann, dessen Persönlichkeit mit diesem Stolperstein ein wenig aus dem Vergessen gerissen wird.

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult