„Die Gedanken sind frei“ heißt es in einem leider nur noch selten gesungenen Freiheitslied, dessen heutige Version von dem vielfach verfolgten Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben stammt. Das klingt schön, ist aber ganz schön vertrackt, denn schon immer haben Menschen versucht, anderen ihre Gedanken aufzuzwingen oder die Gedanken anderer zu unterdrücken.


Das führte in vielen Fällen zur Ermordung Andersdenkender, immer begleitet von der irrigen Ansicht, so ließe sich unliebsames Gedankengut nachhaltig ausmerzen.

Besondere Anstrengungen hat auf diesem Gebiet die seinerzeit schon nicht mehr einzige Kirche unternommen. Nach einer Denunziation ließ sie den Priester und Philosophen Giordano Bruno von einem weltlichen Gericht in Rom zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen. Bruno kommentierte den Urteilsspruch mit dem vorausschauenden Satz: „Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme.“ Das Urteil wurde am 17. Februar 1600 vollstreckt, seine Schriften landeten auf dem Index und waren bis 1966 Gift für strenggläubige Seelen. Geholfen hat die Aburteilung Giordano Brunos weder gegen die Ausbreitung der Reformation noch gegen die anbrechende Aufklärung.

Eine der schaurig-schönsten literarischen Verarbeitungen dieses Themas stammt vom USAmerikanischen Science-Fiction-Autor Ray Bradbury. Das ist jener Bücherfreund, der 1953 — also zwanzig Jahre nach den Bücherverbrennungen in Deutschland — mit dem Roman „Fahrenheit 451“ die Gegenutopie zum Thema „Gedankenpolizeiliche Unterdrückung“ verfasst hat. Bradburys Kurzgeschichte heißt „Die Flugmaschine“ und ist im alten China angesiedelt. Ein Erfinder hat für den Kaiser einen Drachen gebaut, mit dem er über den kaiserlichen Garten fliegt. „Sieh mal, wie schön er zwischen den Vögeln schwebt“, sagt ein Diener. „Ja, sehr schön“, antwortet der Kaiser. Aber der Kaiser hat eine Vision und lässt den Scharfrichter rufen. Der Monarch fürchtet nämlich, dass eines Tages Feinde mit Hilfe solcher Drachen Steine auf die große chinesische Mauer werfen könnten. Dem will er durch die Enthauptung des Drachenbauers vorbeugen, dessen sterbliche Reste er nach der Hinrichtung samt dem Drachen verbrennen und im kaiserlichen Garten vergraben lässt. Es ist anzunehmen, dass der friedliebende Ray Bradbury diese Erzählung nach der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis geschrieben hat.

Heute versuchen mehr oder weniger autoritäre Regime, den Gedankenaustausch zu unterbinden, indem sie den Zugang zu sozialen Netzwerken blockieren. Das wird ihnen nicht helfen, auch wenn sich die jeweiligen Machthaber auf den vermeintlichen Willen ihrer Völker oder auf weltliche oder religiöse Ideologien berufen.

Vor 81 Jahren waren es asoziale Netzwerke, die wider den vermeintlich „undeutschen Geist“ zu Felde zogen und Lunten an die deutsche Literatur legten. Hannover spielte in diesem Zusammenhang eine herausgehobene Rolle, denn mit Bernhard Rust, dem seinerzeit amtierenden preußischen Kultusminister, kam einer der Hauptverantwortlichen für die Bücherverbrennung aus der Leinestadt. Rust war Absolvent des Lyzeum II, das 1912 in Goetheschule umbenannt wurde. Nach dem Studium war der radikale Nationalist Rust von 1909 bis 1930 als Lehrer am Ratsgymnasium tätig, das er wegen sexueller Belästigung einer Schülerin verlassen musste. 1930, da war Rust bereits seit fünf Jahren Gauleiter der NSDAP Südhannover-Braunschweig, zog er für die Nazis in den Reichstag ein und war einer der Mitverantwortlichen für einen Nazi-Gesetzentwurf zum Schutz der deutschen Nation, in dem es heißt: „Wer es unternimmt, deutsches Volkstum und deutsche Kulturgüter, insbesondere deutsche Sitten und Gebräuche zu verfälschen oder zu zersetzen oder fremdrassigen Einflüssen auszuliefern, wird wegen Kulturverrats (...) zu Zuchthaus verurteilt.“ Die Bedrohung war damit manifest.

Nur wenige, wie der weitsichtige Carl von Ossietzky, waren sich dieser Gefahr bewusst. Seine Weltbühne war eines der wenigen Abwehrgeschütze der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden. Dort veröffentlichte der auch in Hannover nicht ganz unbekannte Autor Axel Eggebrecht Anfang 1932 einen Artikel mit dem Titel: „Wer weiter liest, wird erschossen“, in dem er das ganze Ausmaß der resignativen Stimmung in den intellektuellen Zirkeln der Weimarer Republik zum Ausdruck brachte. Dort heißt es: „Noch kurze Zeit Geduld: Wer dann in Deutschland noch von geistiger Freiheit spricht, der hält Leichenreden. Denn schon liegt er kläglich im Sterben, der vielgeliebte Held, der freie Geist. Eigentlich gibt es ihn schon gar nicht mehr — machen wir uns doch nichts vor. (...) Wir sind dabei, uns selber aufzugeben. Es gibt fast keinen gemeinsamen Lebenswillen der Geistigen mehr. Wir sind gelangweilt durch das — wie man nun überall hört und liest — veraltete, liberalistische Ideal der geistigen Freiheit. Unsere Verbände quälen sich selbst bei bösartigen Vorkommnissen kaum noch mal eine lendenlahme Erklärung ab, wie das Beispiel des Schriftsteller-Schutzverbandes zeigt. Es ist vorbei. Man legt die Hände in den Schoß und wartet auf Hitler.“

Syndikus dieses Schutzverbandes war in jenen Jahren der Rechtsanwalt und Schriftsteller Sammy Gronemann, der — Ironie der Geschichte — dieselbe Schule besucht hatte wie Bernhard Rust. Gronemann, der dem Holocaust durch die Flucht nach Palästina entgehen konnte, ist in Deutschland so gut wie vergessen. Dieses Schicksal teilt er mit zwei weiteren Absolventen des Lyzeum II, mit Albrecht Schaeffer, der mit seinem dreibändigen Werk „Helianth“ seiner Heimatstadt Hannover ein literarisches Denkmal gesetzt hat und mit Karl Jakob Hirsch, dessen fulminanter Hannover-Roman „Kaiserwetter“ nach einer langen Phase des Vergessenseins vor ein paar Jahren in Hannover wieder aufgelegt worden ist — zum Glück für Hannover und zur Ehre für einen der bedeutendsten Söhne unserer Stadt.

Mit den Worten von Bertolt Brecht gibt es viele Arten zu töten: „Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ Zu diesem Usw. gehört es, wenn Menschen dem Vergessen anheim gegeben werden wie Albrecht Schaeffer oder Karl Jakob Hirsch, die zwar durch die Flucht aus Nazi-Deutschland ihr Leben retten konnten, aber nicht ihr literarisches Überleben. Daran zu erinnern, ist unsere stetige Aufgabe. Lasst uns mit Brecht „das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde.“

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult