Diese Straßenbenennung ist aller Ehren wert, denn sie ist passgenau. Von der Lindemannallee führt im Stadtteil Bult Die Janucz-Korczak-Allee bis zum Bischofsholer Damm. Anlieger der Janucz-Korczak-Allee sind die Schule auf der Bult, das Sozial-Pädiatrische Zentrum und das Kinderkrankenhaus auf der Bult. Benannt ist die Allee seit 1985 nach dem polnischen Arzt, Schriftsteller und Kinderrechtler Janucz Korczak.

Janucz Korczak

Der Künstlername Janucz Korczak beruht auf einem Druckfehler, denn 1899 beteiligt sich Henryk Goldszmit unter dem Namen Janacz Korczak mit einem Drama an einem literarischen Wettbewerb. Er gewinnt. Dies ist nicht die erste Auszeichnung, denn schon als Gymnasiast hat er 1896 mit dem Roman „Der Gordische Knoten“ einen Nachwuchspreis erhalten. Über seine Kindheit ist wenig bekannt, so ist noch nicht einmal gewiss, wann der junge Henryk das Licht der Welt erblickte. Weil der Vater Jósef Goldszmit es jahrelang verabsäumt, die Geburt seines Sohnes anzuzeigen, gibt es zwei Geburtstage: den 22. Juli 1878 oder 1879. Als der Vater, ein Spieler, 1896 in einer Nervenheilanstalt stirbt, ist die Familie verarmt. Henryk trägt mit Nachhilfeunterricht und Gelegenheitsarbeiten zum spärlichen Familienunterhalt bei.

1898 beginnt Henry Goldszmit sein Medizinstudium an der Kaiserlichen Universität in Warschau, das er 1904 abschließt. Neben dem Studium hat er offenbar genügend Zeit, um seinen schriftstellerischen Ambitionen zu frönen. Erzählungen und Romane machen Janucz Korczak so bekannt, dass er in Warschau zum Modearzt wird. Nach seiner Promotion findet Korczak 1904 Anstellung an einer Warschauer Kinderklinik, die aber nach wenigen Wochen jäh unterbrochen wird. Polen ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch russisch und Korczak rückt in die zaristische Armee ein, um während des Russisch-Japanischen Krieges als Feldarzt zu dienen.

1911 wird ihm die Leitung eines nach seinen Plänen errichteten jüdischen Waisenhauses angetragen und Janucz Korczak gibt den Arztberuf auf. Das Haus „Dom Sierot“ funktioniert nach den Prinzipien einer Kinderrepublik, wird also nicht von Erwachsenen geleitet, sondern basisdemokratisch von den Kindern selbst. Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs wird Korczak erneut als Militärarzt eingezogen. In dieser harten Zeit findet Korczak den Freiraum, um eines seiner pädagogischen Hauptwerke mit dem Titel „Wie man ein Kind lieben soll“. Während seiner Dienstzeit In Kiew lernt Korczak Maryna Falska kennen, die ein Waisenhaus für polnische Knaben leitet. Gemeinsam gründen sie das Waisenhaus „Nasz Dom“, das später nach Warschau verlegt wird. Nach dem Ende des Krieges kehrt Korczak ins nunmehr polnische Warschau zurück und nimmt die Arbeit im Hause „Dom Sierot“ wieder auf.

Zwischen 1928 und 1931 verfasst Janucz Korczak sein zweites pädagogisches Hauptwerk „Das Recht des Kindes auf Achtung“. Nebenher schreibt er Geschichten für Kinder und Erwachsene, arbeitet als Radiomoderator und Redakteur einer Warschauer Zeitung und gründet die erste polnische Kinderzeitung „Kleine Rundschau“.

Nach dem Tod Marschall Pilsudskis im Mai 1935 beginnt auch Janucz Korczak die Zeichen der faschistischen Bedrohung zu erkennen. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Zionismus, reist zweimal nach Palästina und erwägt sogar die Auswanderung. Er verwirft dieses Ansinnen jedoch, weil er „seinem Warschau“ treu bleiben will und „seinen“ Kindern. Als Nazi-Deutschland im September 1939 Polen überfällt zieht Korczak noch einmal symbolisch seinen alten Militärrock an, aber die polnische Armee braucht keine Militärärzte mehr. Noch kann Korczak in seinem Waisenhaus arbeiten.

Nach der Zwangsumsiedlung der jüdischen Bevölkerung ins Warschauer Ghetto im Oktober 1940 muss auch Korczak mit seinen Kindern dorthin übersiedeln. Anfang August 1942 werden die rund 200 Kinder von der SS zum Transport in das Vernichtungslager Treblinka abgeholt. Korczak bleibt bei seinen Kindern, obwohl er weiß, dass auch er mit ihnen in den gemeinsamen Tod geht. Der Pianist Wladislaw Szpilman wird zufällig Zeuge des Abtransports und beschreibt die Ereignisse in seinen Memoiren:

„Für jenen Morgen war die ‚Evakuierung‘ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janucz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, daß sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. Die kleine Kolonne führte ein SS-Mann an, der als Deutscher Kinder liebte, selbst solche, die er in Kürze ins Jenseits befördern würde. Besonders gefiel ihm ein zwölfjähriger Junge, ein Geiger, der sein Instrument unter dem Arm trug. Er befahl ihm, an die Spitze des Kinderzuges vorzutreten und zu spielen – und so setzen sie sich in Bewegung. Als ich ihnen an der Gesia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, der kleine Musikant spielte ihnen auf und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der ‚Alte Doktor‘ noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: ‚Nichts, das ist nichts, Kinder‘ um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen.“

Am 5. August 1942 macht Janucz Korczak die letzte Eintragung in sein Ghetto-Tagebuch, das erste 1958 unter dem Titel „Pamietnik“ veröffentlicht wird. Weil das Datum der Ermordung Janucz Korczaks nicht bekannt ist, gilt der 5. August 1942 heute als sein Todestag. Posthum wurde Janucz Korczak 1972 mit dem „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ ausgezeichnet.


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36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult