Peter Wald bei einer Lesung im Stadtarchiv in Hannover im Mai 2014, Foto: lopo
Peter Wald bei einer Lesung im Stadtarchiv in Hannover im Mai 2014 Foto: lopo

Im Januar 1943 wird Eduard Wald aus dem Zuchthaus Sonnenburg nahe Küstrin (heute Kostrzyn) an der Oder in das Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt, in dem er schon zuvor inhaftiert war. Diese „Verschubung“ rettet Edu Wald wahrscheinlich das Leben, denn kurz bevor die „Rote Armee“ die Oder erreicht, ermorden SS-Mannschaften und Gestapo-Männer aus dem nahen Frankfurt in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 1945 im Zuchthaus Sonnenburg fast alle noch verbliebenen Häftlinge. Im Frühjahr 1942 gelingt es Edu Wald in Sonnenburg, biographische Notizen anzulegen, die er „Auf halbem Weg“ nennt und mit der Widmung versieht: „ Heute für Grete! Morgen für meinen Sohn Peter!“.

Dieses Morgen kommt für Edu und Peter Wald früher, als von beiden erwartet. Peters Mutter Grete ist nach dem 20. Juli 1944 verhaftet worden und kann Edu nicht besuchen, der nächste Angehörige, Peter Wald, ist erst 15 Jahre alt und darf seinen Vater nicht besuchen. Eine Rekrutierungsmaßnahme der SS und eine List helfen. Peter Wald ist Lehrling, wird im April 1944 gemustert und tauglich für den Dienst in der Waffen-SS befunden. Peters Onkel, Otto Brenner, befindet diesen Musterungsbescheid als Wertpapier für den Besuch Peters beim Vater und soll Recht behalten. Am 17. September 1944 darf Peter Wald seinen Vater Eduard in Brandenburg besuchen, weil ja anzunehmen ist, dass der Junge alsbald eingezogen werde.

Bei diesem Besuch kommt die Biografie des halben Weges von Eduard Wald in den Besitz des Sohnes, der damit einen Menschen kennenlernt, der ihm in seiner Kindheit nur sehr selten als Vater begegnet war. Eduard Wald beschreibt sich als Suchenden in privater wie politischer Hinsicht. Er stellt seine Bemühungen dar, sich aus dem Einflussbereich seines extrem religiösen Vater zu befreien und ersatzweise eine politische Familie zu finden. Edu Wald findet sie in Hannover in der KPD und macht zügig Karriere. Noch keine 20 Jahre alt, wird er im Oktober 1924 als „Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda“ in die Leitung des KPD-Bezirks Niedersachsen berufen. 1927 wird Eduard Wald Redakteur für Betriebs- und Gewerkschaftsfragen bei der „Neuen Arbeiter-Zeitung“, dem Organ der niedersächsischen KPD.

Als „Versöhnler“ und Streiter gegen die Stalinisierung gerät Eduard Wald in der KPD schon bald ins Abseits und muss 1930 seine bezahlte Redakteursstelle aufgeben. Damit beginnt „der lange Marsch eines deutschen Sozialisten zur Demokratie“. Der führt Edu Wald zunächst am Rande der KPD ins „Komitee für proletarische Einheit“ und mit diesem in die Illegalität. Als „Reichsekretär“ dieses antifaschistischen Kampfbundes wird Wald im Mai 1936 in Berlin von der Gestapo verhaftet. Zu 15 Jahren Haft verurteilt, verbringt Eduard Wald die Jahre bis zur Befreiung Nazi-Deutschlands in Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Zum Ende seines „halben Weges“ schreibt Eduard Wald für seinen Sohn: „Summa Summarum: Man hat sein Päckchen zu tragen. Dass ich es noch tragen kann, sollte Dir dieses Büchlein zeigen.“

Den „Weg“ Edu Walds vervollständigt Sohn Peter aus eigenen Erinnerungen sowie Briefen und Artikeln des Vaters. Die Geschichte wiederholt sich in Teilen, denn wieder sucht ein Sohn seinen Vater. Der will seinen Platz in der politischen Nachkriegslandschaft definieren. Trotz der tiefgreifenden Differenzen aus der Spätphase der Weimarer Republik beteiligt sich Edu Wald am Wiederaufbau der KPD, zunächst unter der von ostdeutschen Kommunisten um Anton Ackermann verbreiteten These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus. Dieser endet, wenn er denn überhaupt jemals realistisch gewesen wäre, spätestens mit der unter sowjetischen Druck herbeigeführten Vereinigung von KPD und SPD zur ostzonalen SED. Edu Wald ist als Parteisekretär der KPD davon informiert, und er weiß aus berufenen Mündern, dass Funktionäre der Ost-SPD aus allen wesentlichen Funktionen herausgehalten werden sollen.

Wieder überkommen Edu Wald Zweifel an der eigenen Partei, deren Generallinie nun von Ost-Berlin aus diktiert wird. Aber es dauert noch viele Monate, bis die Zweifel zum Trennungskurs führen. Ein entscheidender Abschnitt in diesem Trennungsprozess ist ein monatelanger Aufenthalt Eduard Wald in einem Sanatorium der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) in Sülzhayn am Ostharz. Dort lernt Edu seine spätere zweite Frau Orli kennen und gerät in einen Diskussionskreis, in dem die nachmaligen SED-Dissidenten Karl Schirdewan und Rudolf Herrnstadt zu den parteikritischen Wortführern gehören.

Anfang 1947 schreibt Eduard Wald an seine erste Ehefrau Grete: „Da Du ja im Januar nicht kommst, willst Du mir da nicht einmal für ein Wochenende den Peter herschicken?“ Edu will sich mit seinem Sohn „freundschaftlich und freundlich über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (...) unterhalten.“ Siebzig Jahre später vermag sich Peter Wald nicht daran zu erinnern, ob es zu diesem Treffen gekommen ist, aber er kann sich gut vorstellen, „dass die ‘freundschaftlich geführte (...) Unterhaltung‘ uns nicht weiter, oder besser, uns einander nicht näher gebracht hat.“ Einige wenige spätere Gespräche zwischen Edu und Peter Wald sind überwiegend politischer Natur.

Als Edu Wald Ende Mai 1947 aus Sülzhayn nach Hannover zurückkehrt, bedeutet dies das Ende der ersten, nie wirklich vorhanden gewesenen, Familie Wald. Damit Edu mit seiner neuen Liebe Orli in Hannover eine gemeinsame Wohnung beziehen kann, willigt Grete in eine schnelle Scheidung ein und nimmt als „gute Kameradin“, wie Peter Wald sie beschreibt, die Schuld auf sich. Peter Wald bedauert, dem neuen Paar keine große Hilfe sein zu können. Er steht vor dem Umzug nach Berlin, wo er ein Volontariat bei der „Berliner Zeitung“ antreten soll. Es soll ein Ortswechsel für knapp ein Jahr werden. Am 1. November 1948 berichtet die Berliner Zeitung, dass in Hannover die KPD Eduard Wald als Spion der Briten ausgeschlossen hat. Peter Walds Chef Rudolf Herrnstadt fordert nun den jungen Mann auf, eine Denunziationsliste zusammenzustellen, was diesen zum abrupten Abbruch der Ausbildung veranlasst.

Zurück in Hannover trifft Peter Wald, selber auf der Suche nach einer Perspektive, auf zwei weitere Suchende, denn nicht nur sein Vater ist wieder einmal ohne „korrekte Linie“, sondern auch Orli sucht Zuflucht. Die am Überleben von Auschwitz Leidende tritt aus der SED aus, der sie in Sülzhayn beigetreten war. Wieder hilft wohl Edu Walds Schwager Otto Brenner. Edu wird Niedersachsen-Redakteur der DGB-Zeitung „Welt der Arbeit“ und Pressesprecher des DGB in Niedersachsen. Das sorgt für die soziale Sicherheit, die vor allem Orli Wald braucht. Ihren Tod am Überleben von Auschwitz kann dies nicht aufhalten.

Der radikale Sozialist Edu Wald gibt ab 1950 den Informationsdienst „Feinde der Demokratie“ heraus, wird strammer Antikommunist und als Sozialist, in jenen Jahren folgerichtig, Mitglied der SPD. Dort engagiert er sich allerdings nur sporadisch: als Referent in seinem Ortsverein. Wichtiger, wenngleich auch in zweiter Reihe aktiv, ist Edu Wald für den „Zehnerkreis“ um Otto Brenner, der das bedeutendste Diskussionsforum für die Neuordnung der deutschen Gewerkschaften in der jungen Bundesrepublik Deutschland werden wird. Edu Wald wird in jenen Jahren als Partei- und Gewerkschaftsrechter angesehen, denn aus den Erfahrungen der Weimarer Republik plädiert er sowohl für einen demokratischen Verfassungsschutz als auch für eine republikanisch gesinnte Armee. Das unterscheidet ihn vom Sohn, denn Peter Wald ist in den Jahren der Wiederbewaffnung ein entschiedener Militärgegner. Auch darüber haben Vater und Sohn Wald nur wenig geredet. Bis zum Tod Edu Walds am 5. November 1978 bleiben Vater und Sohn Suchende.

Die Geschichte dieser Suche heißt „Auf halbem und auf ganzem Wege“. Erschienen ist sie im kleinen, aber feinen Donat-Verlag in Bremen, der sich auf bedeutende Randfiguren der Sozialdemokratie spezialisiert hat. Für SozialdemokratInnen, die immer mal wieder auf der Suche sind, ein Muss. Lothar Pollähne


Eduard Wald/Peter Wald, Auf halbem und auf ganzem Wege, Donat-Verlag, Bremen, 2014, 208 S., € 14,80


Foto: Peter Wald bei einer Lesung im Stadtarchiv in Hannover im Mai 2014
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36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult