Liebe Südstadtgemeinde,
werte Gäste aus der Südstadt und dem Rest der Welt,

zwischen den Jahren, in jenem Zeitraum, in dem wir uns zur Zeit befinden, hat ein Mitglied ihrer Gemeinde Tacheles geredet. Bischöfin Käßmann hat gemahnt, hat zur Jahreswende Worte gefunden zum aktuellen Zustand der Welt und gefunden, daß vieles nicht so ist, wie es sein sollte. Das hat manchen Menschen nicht gefallen, manchen von Ihnen vielleicht auch nicht.

Prominenten Vertretern einiger Parteien hat das auch nicht gefallen und deswegen haben sie die größte Keule im vereinigten Deutschland erhoben und Margot Käßmann in die Reichweite der Linkspartei gestellt. Das soll vermeintlich nach zwanzig Jahren immer noch stigmatisieren.

Damit keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich hier, im Gegensatz zu offen mißverstehenden Politikern und privaten, wie öffentlich-rechtlichen Schreibgehilfen, den vollen Wortlaut der inkriminierten Passage aus Margot Käßmanns Dresdner Neujahrsansprache vortragen.

„Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, daß Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt
den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Phantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen.“

Wortwahl und Thema mag man nicht mögen. Daraus jedoch Dolchstoßlegenden abzuleiten, geht an der täglich medial präsentierten Realität in Afghanistan vorbei. Vor dreißig Jahren nahm der Westen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan zum Anlaß, von einem Vietnam der UdSSR zu sprechen. Von einem zweiten Vietnam der USA und ihrer Verbündeten zu reden, wäre zur Zeit vermessen, aber der ständige Ruf nach mehr Truppen für den so genannten Anti-Terror-Einsatz läßt Schlimmes vermuten. „Wir haben allen Grund zu erschrecken“ hat Margot Käßmann in Dresden gesagt und damit auf die Jahreslosung der Evangelischen Kirche abgehoben, die da beginnt mit den Worten: „Euer Herz erschrecke nicht“.

Erschrecken sollten sich friedliebende Menschen vor Politikern, die Ihre Landesbischöfin per Nebensatz zur Komplizin der Taliban machen wollen. So hat der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose Frau Käßmann in die Position der Linkspartei gerückt, die ja als einzige Bundestagspartei den sofortigen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan fordert. Klose hat in diesem Zusammenhang das Menetekel terroristischer Anschläge heraufbeschworen. Das ist perfide.

Nicht viel besser ist der Grünen-Politiker Ralf Fücks, der da naßforsch behauptet: „Auch Nichthandeln kann schuldig machen“. Aber vielleicht kannte er ja Margot Käßmanns Dresdner Worte gar nicht. Daß der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Oberst Ulrich Kirsch erklärte, Käßmanns Nein zum Afghanistan-Einsatz schaffe nur neue Frustrationen für deutsche Soldaten, erstaunt nicht, läßt aber vor allem diesen Schluß zu: Bei den freiwillig in Afghanistan stationierten Soldaten muß es bereits ein heftiges Frustrationspotenzial geben.

Den Vogel schießt schließlich der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder ab, der Margot Käßmann verdeckt „Frauenfeindlichkeit“ und eine „radikalpazifistische Position“ unterstellt, die die Durchsetzung von Menschenrechten am Hindukush verhindere. „Wer soll die Rechte afghanischer Frauen schützen, wenn die Nato abzieht“ fragt ausgerechnet Herr Mißfelder, der vor nicht allzu langer Zeit dadurch aufgefallen ist, daß er alten Menschen Hüftgelenkoperationen auf Kosten der Solidargemeinschaft verweigern wollte. Da stimmt der Kommentar des eher konservativen Nachrichtenmagazins Focus, Philipp Mißfelder stapfe „von einem Fettnäpfchen in‘s nächste.

Ich bin Partei, das ist hinlänglich bekannt, und nehme Partei für die Bischöfin, denn ich bin wie sie der Meinung, daß Waffen in Afghanistan keinen Frieden schaffen, weder in Kundus noch am Hindukush, wo angeblich seit Jahren unsere Freiheit bedroht ist und diese deswegen gerade dort geschützt werden muß.

Was nun hat die Landesbischöfin vermitteln wollen? Daß Angst und Schrecken Teil unseres Lebens sind und daß wir je nach persönlicher Befindlichkeit damit umgehen müssen und daß wir handeln sollten, je nach Vermögen. Mögen Sie, je nach Vermögen, dazu beitragen, daß das Erschrecken geringer wird in dieser Welt. So hat es Margot Käßmann in Dresden gesagt und hinzugefügt: „Wenn viele Menschen viele kleine Schritte gehen, kann sich das Gesicht der Erde verwandeln.“

Das gilt im Kleinen wie im Großen. „Steht auf und erhebt eure Häupter“ lautet die Aufforderung der Landesbischöfin. Dem kann ich mich voll und ganz anschließen. Nur erhobenen Hauptes können wir die Schrecknisse des Lebens bewußt wahrnehmen und auch bewußt damit umgehen. Viele Menschen zweifeln in dieser Zeit und viele sind verzagt, Gemach. Mein Motto für das Jahr 2010 lautet, entlehnt bei Erich Fried: Zweifle nicht an dem, der sagt, er habe Angst, aber habe Angst vor dem, der Dir sagt, er kennt keinen Zweifel.

Diese Zweifel zu äußern, halte ich für völlig normal. Ich wünsche uns allen produktiven Zweifel, Mut zu Unbequemem und jede Menge kleine Schritte gegen das Erschrecken, vor allem aber Glück und Zufriedenheit für das Jahr 2010.

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult