Beim roten Grünkohlessen im vergangenen Jahr wurde er noch für seine 60jährige Mitgliedschaft in der SPD geehrt und überraschte die Anwesenden mit kenntnisreichen Erinnerungen. Am 12. Mai ist Manfred Menzel im Alter von fast 82 Jahren gestorben. Die SPD verneigt sich und sagt Danke. Eine Trauerrede hielt Bezirksbürgermeister Lothar Pollähne.

„Wenn Herr Menzel nunmehr aus unserem Betrieb ausscheidet, so glauben wir, dass er die bei uns gemachten Erfahrungen zu seinem Berufsziel auswerten kann“. Die das am 31. August 1949, versehen mit guten Wünschen, in ihrem Zeugnis für Manfred Menzel niedergeschrieben haben, waren Schnapsbrenner in Passau. Sollten sie damit im Sinne gehabt haben, Manfred Menzel würde sich hinfort hochkonzentriert beschäftigen, dann wäre der Firma „Alt-Passauer-Edelliköre“ eine gewisse Weitsicht nicht abzusprechen.

Andere Passauer mochten da in ihrem Urteil nicht nachstehen. Im August 1949 hatte sich Manfred, der aus Angst vor Repressalien aus der SBZ geflohen war, dem Ortsverein Passau der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angeschlossen und avancierte alsbald als Vertreter der Jugend in den Ortsvorstand. Am 9. Juni 1950 schreibt der Genosse Höllinger: „Wir können von ihm heute sagen, nachdem wir ihn genügend kennen gelernt und geprüft haben, dass er selbstlos im Kampfe für unsere Sache tätig war. Seine Vorbildung und Ausbildung leisten ihm dabei gute Dienste“.

Ob die Genossen damit seine konzentrierte Vorbildung im Passauer Edel-Likör-Labor meinten, soll im Dunkel der Nachkriegsgeschichte verborgen bleiben. Die Wegbeschreibung der Passauer Sozialdemokraten allerdings darf nicht unerwähnt sein. „Abschließend wollen wir sagen“, so der Genosse Höllinger, „dass wir Alten ruhig abtreten könnten, wenn unsere Nachfolger aus lauter solchen „Menzels“ bestehen würden“.

Das Schreiben vom 9. Juni 1950 hat zum ersten Mal hannöversche Konsequenzen für Manfred Menzel. Die Flüchtlingsbetreuungsstelle Ost beim Parteivorstand der SPD stellt eine Bescheinigung aus, die dem lieben Genossen Menzel attestiert, dass er als echter politischer Flüchtling anerkannt wird und daß es sich bei ihm um einen würdigen Vertreter der in Blickrichtung „vorwärts“ marschierenden Jugend handelt“. Gezeichnet mit sozialistischem Gruß äußert der Genosse Kade die Hoffnung, die ausgefertigte Bescheinigung möge Manfred helfen, „die entstehenden Schwierigkeiten“ zu überwinden.

Davon wird Manfred in den folgenden Jahren reichlich haben. Wer sich einmischt, muß Gegenwind ertragen können, und da Manfred sich reichlich einmischt, ist er recht bald sturmerprobt. 1950 geht er zum Studium an die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin, wird Mitglied des SDS und AStA-Referent für gesamtdeutsche Studentenfragen. Das ist für einen politischen Flüchtling im sektorierten, aber offenen Berlin nicht ganz ohne Risiko.

1951 engagiert sich Manfred neben seinem Studium im Westberliner Jugendbüro und organisiert Maßnahmen gegen die Weltjugendfestspiele im Ostsektor der Stadt. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Exner dankt dem sehr geehrten Herrn Menzel, damals übrigens wohnhaft in der Menzelstraße 19 in Berlin-Grunewald, für die Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Mühewaltung, Maßnahmen gegen die Weltjugendfestspiele organisiert zu haben.
Nach dem Studium bleibt Manfred zunächst Mitglied des Jugendbüros und wird 1954 Sachbearbeiter beim Berliner Büro des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften. Das wird im Guten wie im Schlechten prägend. Die Zustände im Berliner Büro des IBFG werden für Manfred über kurz untragbar, westliche Geheimdienste sitzen immer mit am Tisch und forschen Flüchtlinge aus, die er betreuen soll. Der DGB-Bundesvorstand fordert ihn auf, Bericht zu erstatten, was ihm die Kündigung einträgt. In seinen Aufzeichnungen spricht Manfred von einer „Riesenschweinerei“. „Wir sollten mundtot gemacht werden, damit die Zusammenarbeit des DGB und des IBFG mit westlichen Geheimdiensten nicht bekannt würde“.

Die wird dennoch bekannt, auch ohne Manfreds Zuarbeit, aber das ist in Zeiten des Kalten Krieges absehbar. Manfred ist also zunächst mal gefeuert, aber er hat Glück und einen Fürsprecher, der ihn bis zum Ende nicht loslassen soll. Noch als Mitarbeiter des IBFG hatte Manfred begonnen, für den DGB in Niedersachsen und Bremen zu schreiben. Daher rührt wohl der Kontakt zu Edu Wald. Der jedenfalls sagt nach dem gewerkschaftlichen Gegenwind aus Westberlin Hilfe zu und überzeugt Manfred, seine berufliche Zukunft in Hannover zu suchen.

Zunächst schreibt Manfred von Berlin aus für Edu Walds Schriftenreihe „Feinde der Demokratie“ über neue und alte Nazis, dann, schon in Hannover, betritt er das kurze Gras des freien Journalismus. Zwischen Küchentisch und Schlafkoje entstehen Artikel, Zeitschriften, Rundfunkbeiträge und Werbespots. Als Ablagen dienen zunächst Apfelsinenkisten und die sind erst einmal im Grasweg 12 in Hannovers Südstadt bei Edu und Orli Wald aufgestellt.

In der Südstadt beginnt meine Beziehung zu Manfred, den ich im Sinne von Axel Eggebrecht, Heinrich Albertz, Fritz Sänger und Eugen Kogon als „zornigen alten Mann“ auszeichnen möchte. Zornig, weil er sich in seiner Gewerkschaft, der IG Chemie, Papier, Keramik, deren Pressesprecher er jahrzehntelang war, nicht mehr recht heimisch fühlte, zornig, weil seine Partei manches anders sah als er, zornig aber vor allem, weil seine langjährige Heimatstadt Hannover bei der Würdigung seiner Mentoren Orli und Edu Wald jahrelang ein klägliches Bild abgegeben hatte.

Manfreds Zorn hatte in den Jahren, in denen ich ihn kannte und schätzen lernte, eine Form von Beharrlichkeit, die mißgünstige Zeitgenossen vielleicht als „Altersstarrsinn“ bezeichnen würden. Wie gut, daß sich Manfred nicht von derlei Anwürfen hat aus der Bahn werfen lassen. Er hat Freunde gesucht und gefunden, die mit ihm der Meinung waren, das Gedenken an Orli Wald müsse öffentlich sein.
Manfred hat uns alle überzeugt, hat Briefe über Briefe geschrieben, hat im buchstäblichen Sinne mit Hinz und Kunz verhandelt und ist bis zum Schluß einer der Kämpfer geblieben, von denen Bertolt Brecht sagt, sie seien unentbehrlich. In seinem Text „Vom Reicherthof zur Orli-Wald-Alle in Hannover“ hat Manfred den in Breslau geborenen Historiker Fritz Stern zitiert, der in seinem Plädoyer für eine große europäische Erinnerungsstätte für diejenigen, die in der Nazizeit aktiven Widerstand geleistet haben“ geschrieben hat: „Ich glaube, daß man der nächsten Generation ein großes Unrecht antut, wenn man nur an die Verbrechen erinnert und nicht an die Menschen, die Widerstand geleistet haben“.

Orli Wald hat Widerstand geleistet. Dieses Gedächtnis hat Manfred Menzel immer wach gehalten. Nun, da Manfred tot ist, ist es unsere Aufgabe, dieses Gedenken fortzusetzen. So ehren wir einen großen Streiter gegen das Vergessen. Manfred, wir danken Dir.

von links nach rechts sind Manfred Menzel, Peter Wald und Lothar Pollähne
Bei der Einweihung der Orli-Wald-Alle: von links nach rechts sind Manfred Menzel, Peter Wald und Lothar Pollähne zu sehen.

Buchempfehlung:

Bernd Steger/Peter Wald: „Hinter der grünen Pappe“, VSA Verlag, 255 S., 16,80 Euro

Das Buch stellt die „tragische Geschichte von Orli Wald aus der Katastrophenzeit im Jahrhundert der Extreme“ vor, die vor allem wegen der autobiographischen Impressionen Orli Walds beängstigend beeindruckend ist. Neun Jahre lang hat Orli Wald die Haft in Gefängnissen und Konzentrationslagern überstanden. Im Januar 1945 wurde sie mit anderen KZ-Häftlingen auf den Todesmarsch von Auschwitz ins Konzentrationslager Ravensbrück, nördlich von Berlin. Orli Wald hat das Glück, mit anderen Frauen ins Außenlager Malchow überwiesen zu werden, denn im Stammlager Ravensbrück werden im Februar und März 1945 rund 6000 „nicht-arbeitsfähige“ Frauen ermordet. Ende April 1945 kann Orli Wald aus dem kaum noch bewachten Außenlager fliehen.

Im Sanatorium Sülzhayn am Harz lernt sie den Widerstandskämpfer und Gestapo-Häftling Edu Wald kennen, der der physisch und psychisch Gebrochenen Halt, Hilfe und Geborgenheit gibt vor allem in ihrem oft demütigenden Kampf um die Anerkennung als Opfer des Faschismus und um Haftentschädigung. Anfang Januar 1962 ist Orli Wald an Auschwitz gestorben. Sie wurde nur 47 Jahre alt.

„Hinter der grünen Pappe“ versammelt autobiographische Texte von Orli Wald, die eine Frau zeigen, die in den extremen Lebensumständen von Auschwitz mit Todesmut eine tiefe Humanität verteidigt hat. Nach der Lektüre dieser Texte wird deutlich, warum Orli Wald von Mithäftlingen „Engel von Auschwitz“ genannt wurde. Bedrückend eindrucksvoll ein Textauszug über das fünfjährige blinde polnische Mädchen Christel:

„ „Ich muß dich jetzt zum Doktor bringen“, sage ich ihr. Und jedes Wort, das ich sprechen muß, schmerzt mich. „Wirst Du mich tragen““ fragt sie und ist schon aus dem Bett in meine Arme geklettert. Ihre Arme legt sie um meinen Hals und wieder, wie so oft, fühle ich, wie hilflos und voll Vertrauen sie ist. Langsam gehe ich zur Ambulanz. Behutsam lege ich sie auf den Operationstisch. „Sofort raus mit dir“, brüllt der Unterscharführer. Ich höre nichts. Ich küsse Christel - noch ein letztes Mal schaue ich in dieses zarte, reine Kindergesicht, in diese Augen, die schön sind, und noch nie die Sonne sahen. „Wasch mir meine Taschentuch!“, flüstert ihr zartes Stimmchen, und sie steckt mir ihr Taschentuch in meine Hände. - „Kommst du mich nachher holen?“, fragt sie mich. „Ich komme“, sage ich mit letzter Kraft, und nachdenklich und langsam, so als ob plötzlich ein Schatten über ihr kleines Herz fiele, sagt sie „Na gut!“

Kleine Christel, ich kann dich nie vergessen. - Als ich dich holen kam, warst du still und Kalt. In deiner zarten Kinderbrust war ein kleiner runder Stich, einige Tropfen Blut waren herausgetreten. Das habe ich dir mit deinem Taschentuch, das ich dir noch waschen sollte, abgewischt. Und ich habe dich noch lange in meinen Armen gehalten.“
(Hinter der grünen Pappe, S. 166/167)

Beigelegt ist dem Buch Manfred Menzels Bericht über das jahrelang frustrierende Bemühen, Orli Wald die angemessene öffentliche Würdigung zukommen zu lassen. 2007 konnte endlich im Beisein von Manfred Menzel und Edu Walds Sohn Peter die Orli-Wald-Allee am Friedhof Engesohde eingeweiht werden. Dort hat auch Manfred Menzel seine letzte Ruhestätte gefunden. lopo

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult