Am 25. Februar 1945 stirbt in Bergen-Belsen Hans Goslar, ein Deutscher, getötet von Deutschen. Nur wenige Notate verweisen im Internet auf diesen Mann, zwei, drei kurze Artikel beleuchten sein aufregendes Leben. Auch im vorzüglichen Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie „Der Freiheit verpflichtet“ ist Hans Goslar nicht aufgeführt. „Begraben“, wenn es denn so heißen soll, ist er auf einem der vielen Felder des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen.

Öffentliche Erinnerungen, wie Stolpersteine oder Erinnerungstafeln, gibt es für Hans Goslar nicht. Das ist nicht in Ordnung, denn Hans Goslar war in der Weimarer Republik eine durchaus prominente Persönlichkeit.

Geboren wird Hans Goslar am 4. November 1889 in Hannover als Sohn des Kaufmanns Gustav Goslar, der zumindest seit 1870 dort lebte. Seine Vorfahren mütterlicherseits scheinen schon vor 1870 in Hannover gelebt zu haben, denn auf dem jüdischen Friedhof „An der Strangriede“ befinden sich die Grabstätten von Hans Goslars Großvater Jakob Blumenfeld und dessen Tochter Elsa. Bis 1894 wächst Hans Goslar in Hannover auf. Dann zieht die Familie nach Berlin. Schon recht früh schließt sich Goslar der zionistischen Jugendbewegung an. Der Zionismus wird ihn prägen. Nach dem Studium der Nationalökonomie an der Handelshochschule Berlin arbeitet Hans Goslar als Wirtschaftsredakteur bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Ende 1914 tritt er als Handelsredakteur in die Dienste der „Vossischen Zeitung“. Auch die Pressearbeit wird ihn prägen, sogar in den Jahren des 1. Weltkriegs. Goslar wird in unterschiedlichen Abschnitten besetzter Gebiete den jeweiligen Presseabteilungen der deutschen Verwaltungen zugeteilt. Das Ende des Krieges erlebt er jedoch nicht an der Front, sondern in der Redaktion der „Norddeutschen Zeitung“, die ihn im April 1918 angefordert hatte. Wegen der Benachteiligung der Juden im wilhelminischen Deutschland tritt Hans Goslar unmittelbar nach Kriegsende der SPD bei.

Bis September 1919 bleibt Goslar bei der „Norddeutschen Zeitung“, dann wird er vorübergehend Mitarbeiter des preußischen „Staatskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung“. Am 1. November 1919 wird Hans Goslar zum Leiter der Pressestelle des preußischen Staatsministeriums ernannt und damit zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der preußischen Regierung. Von wenigen Monaten abgesehen, in denen die SPD nicht in der Regierungsverantwortung steht, ist Hans Goslar als „preußischer Pressechef“ einer der engsten Mitarbeiter des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun. Innerhalb des Staatsministeriums avanciert Hans Goslar 1927 zum Ministerialrat. Neben seiner staatsoffiziellen Tätigkeit arbeitet Hans Goslar als Dozent für Börsenwesen und Bankenpolitik. Nach dem so genannten „Preußenschlag“, dem von Reichspräsident Hindenburg veranlassten Staatsstreich gegen die verfassungsgemäß amtierende preußische Regierung, wird Hans Goslar im Juli 1932 beurlaubt und im Oktober desselben Jahres in den Ruhestand versetzt.

In den Jahren der Weimarer Republik ist Hans Goslar als Zionist in verschiedenen jüdischen Institutionen an führender Stelle aktiv. So wird er 1925 als Mitglied der Jüdischen Volkspartei in den Verbandstag des preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden gewählt. Goslar steht in bewusstem Widerspruch zu den stark bürgerlich geprägten liberalen jüdischen Interessenvertretern. Von 1928 bis 1933 ist Hans Goslar Mitglied der Repräsentantenversammlung der jüdischen Gemeinde von Berlin.

Nach der Machtübertragung an die Nazis flieht Hans Goslar mit seiner Familie nach Amsterdam. Goslar hatte am 3. April 1926 die Lehrerin Ruth Judith Klee geheiratet. Am 12. November 1928 wurde die Tochter Hannah Elisabeth geboren. Im Dezember 1933 registriert sich Hans Goslar in Amsterdam als „Wirtschafts- und Finanzberater“. Bald darauf eröffnet er mit dem ebenfalls aus Berlin geflüchteten Rechtsanwalt Franz Ledermann ein Beratungsbüro „zur Rettung von Juden aus Deutschland“. 1938 wird Hans Goslar vom Deutschen Reich ausgebürgert und gilt damit als Staatenloser. Am 10. Mai 1940 besetzen die Nazi-Armeen die Niederlande. Dennoch fühlt sich die Familie Goslar relativ sicher, denn mit Hilfe Schweizer Verwandter ist sie in den Besitz von „Paraguay-Pässen“ gelangt.

Am 25. Oktober 1940 kommt in Amsterdam die Tochter Rachel Gabriele zur Welt. Zwei Jahre später trifft Hans Goslar ein schwerer persönlicher Schlag. Seine Frau stirbt bei der Geburt des dritten Kindes, das ebenfalls nicht am Leben bleibt. Am 20. Juni 1943 endet für Hans Goslar und die beiden Töchter die vermeintliche Sicherheit. Während einer Großrazzia der Nazis werden sie gemeinsam mit den Großeltern Therese und Alfred Klee verhaftet und in das KZ-Sammellager Westerbork verschleppt. Dort stirbt Alfred Klee im November 1943 nach einem Herzanfall. Am 15. Februar 1944 werden Hans Goslar, die Töchter Hannah Elisabeth und Rachel Gabriele sowie Großmutter Therese Klee in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Dort trifft Hannah auf ihre alte Freundin aus Amsterdamer Zeiten, Anne Frank, die aus Auschwitz auf ihren letzten Weg gebracht worden ist. Anfang 1945 stirbt zunächst Therese Klee, dann stirbt am 25. Februar Hans Goslar.

Hannah Elisabeth und Rachel Gabriele Goslar werden als so genannte „Austauschjuden“ vor dem Anrücken der britischen Armeen am 10. April 1945 mit dem letzten Viehwagenzug in Richtung Theresienstadt deportiert. Die Irrfahrt dieses „Zuges der Verlorenen“ endet am 23. April in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz. Beide Kinder von Hans Goslar überleben und können wenig später mit Hilfe von Anne Franks Vater Otto, der Auschwitz überleben konnte, zunächst bei Verwandten in der Schweiz unterkommen und finden dann nacheinander am Ende einer deutschen Leidensgeschichte Zuflucht in Israel.

Hans Goslar Foto: privat

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