Am Heiligen Abend 1936 schenkt Kurt Schwitters seinem Sohn Ernst „allerlei Kleinigkeiten“ unter dem Motto: „Man kann ja nie wissen.“ Beide allerdings wissen, dass dies auf geraume Zeit das letzte gemeinsame Weihnachtsfest in Deutschland sein würde. Da die Nazis die Ausreisegesetze verschärft haben, muss Ernst Schwitters vor dem 1. Januar 1937 Deutschland verlassen. Kurt Schwitters will eigentlich nicht auswandern, aber ein Freund rät ihm, erst einmal zu fahren.

Am 2. Weihnachtstag 1936 reist Ernst Schwitters von Hamburg aus mit dem Schiff nach Norwegen. Kurt Schwitters folgt ihm am 2. Januar 1937 in eine ungewisse Zukunft. Seine Ankunft in Norwegen beschreibt er mit zwei beklemmend nüchternen Sätzen: „In Oslo stand Ernst am Kai. Er war traurig, hatte keine Wohnung.“

An die am Ende überstürzte Flucht von Kurt und Ernst Schwitters vor den Nazi-Schergen erinnern seit dem 20. November 2015 zwei Stolpersteine, die der Künstler Günter Demnig vor dem Grundstück in der Waldhausenstraße 5 verlegt hat. Dort befand sich bis zur Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 das elterliche Wohnhaus, in dem Kurt Schwitters eine Etage zum legendären „Merzbau“ ausgestaltet hatte. In der kleinen Feierstunde aus Anlass der Stolperstein-Verlegung erinnerte Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok an „die grausamen und menschenverachtenden Taten während der NS-Zeit“.

Stefan Schostok

„Kurt und Ernst Schwitters waren aufgrund ihrer Einstellung und ihrer Arbeit Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland. Sie wurden gehetzt und vertrieben aus ihrem Land, weil sie friedlich eine andere Meinung vertraten“, erklärte Stefan Schostok. Mit den Stolpersteinen für die beiden Künstler sind in der Landeshauptstadt Hannover Zeichen gesetzt worden, Zeichen, die in Zeiten zunehmender fremdenfeindlicher Aktivitäten an Kurt Schwitters Spruch „Man kann ja nie wissen“ erinnern. In Anwesenheit von Bürgermeister Thomas Hermann und der Döhren-Wülfeler Bezirksbürgermeisterin Antje Kellner bekräftigte Schostok Hannovers Verantwortung für die Geschichte: „Auch künftig werden wir durch die Unterstützung der Städtischen Erinnerungskultur auf die Menschen aufmerksam machen, die der Willkür und dem Terror zum Opfer fielen.“

Günter Demnig

Dem schloss sich Günter Demnig an, der nach der Verlegung von über 50000 Stolpersteinen jede neue Verlegung als einzigartig betrachtet und der sich als Künstler vor den Künstlern Kurt und Ernst Schwitters verneigt: „Ich freue mich über jeden Stein, den ich verlege. Es ist noch immer keine Routine.“ Fortsetzung wird folgen. Auch in Hannover. „Bis 2016 haben wir schon viele weitere Gedenksteine in Planung“, so Demnig. Insgesamt verlegte er am 20. November in Hannover 26 Stolpersteine. Damit hat sich die Zahl der Stolpersteine im Stadtgebiet auf 331 erhöht.

Kurt Schwitters, der am 8. Januar 1948 in Ambleside in England starb und zunächst dort beerdigt wurde, „kehrte am 4. September 1970 nach Hannover zurück“. Seine sterblichen Überreste wurden in einem städtischen Ehrengrab auf dem Engesohder Friedhof beigesetzt. Ernst Schwitters, der als preisgekrönter Fotograf nach dem Ende des 2. Weltkriegs aus England nach Norwegen zurückgekehrt war, starb dort am 17. Dezember 1996. Seinem Wunsch entsprechend sind seine sterblichen Überreste im Familiengrab auf dem Engesohder Friedhof beigesetzt worden. Kurt und Ernst Schwitters „ruhen“ dort unter einer stilisierten Lilie mit der Aufschrift: „Man kann ja nie wissen“.

Kurt Schwitters Zitate über das beklemmende Weihnachtsfest 1936 sind dem 1938 verfassten Text „Flucht nach Norwegen“ entnommen, den Gabriel Kähler während der Feierstunde vortrug.

Spendenaufruf

Stolpersteine gibt es nicht umsonst. Ein Stein kostet 120 €. Dafür sucht die Deutsch-Israelische Gesellschaft, die die Verlegungen in Hannover koordiniert, Sponsoren. Der SPD-Ortsverein Südstadt-Bult unterstützt diese Aktion und bittet um Spenden oder die Vermittlung weiterer Spenden. Für Spendengelder (Stichwort Stolpersteine), die auf das Konto der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bei der Sparkasse Hannover, IBAN DE 7125050180000002121 eingezahlt werden, gibt es eine steuerlich absetzbare Spendenbescheinigung.

Fotos: Thomas Hermann

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult