„Diese Ehrung ist außergewöhnlich“, befand Bürgermeister Thomas Hermann am 30. September vor dem Haus in der Großen Barlinge 4 in Hannovers Südstadt, denn mit einem Stolperstein wurde Wilhelm Weber gewürdigt, der bereits seit 1931 Mitglied der NSDAP gewesen war. Auf dem Stolperstein, den Gunter Demnig verlegte, steht zu lesen: „HIER WOHNTE WILHELM WEBER, JG. 1883, VERHAFTET 1943, ‘WEHRKRAFTZERSETZUNG UND FEINDBEGÜNSTIGUNG’, TODESURTEIL 15.9.1943, HINGERICHTET 21.9.1943, BERLIN PLÖTZENSEE“.

Wilhelm Weber war Schriftsteller und Zahnarzt und hat im Laufe seines Nazi-Lebens gesehen und begriffen, was Millionen anderer Deutscher hätten auch sehen und begreifen können, so sie es denn gewollt hätten. Wäre es so gekommen, wie der Berliner Historiker Bernward Dörner während der Verlegung darlegte, der bereits 2013 die Verlegung des Stolpersteins angeregt hatte, dann hätten die Nazi-Verbrechen gegen die Menschheit früher beendet werden können.

Wilhelm Weber, wohl von inneren Zweifeln hin- und hergerissen, wählte eine Form der Meinungsäußerung, die ihn „den Kopf kostete“. Am 6. August 1943 hat er nach dem Urteil des „Volksgerichtshofes“ der Patientin Frau von Salz gegenüber geäußert, „wir hätten eine Million Juden ermordet und dadurch schwere Schuld auf uns geladen.“ Der „Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des obersten Nazi-Richters‚ Roland Freisler verurteilte Wilhelm Weber mit dem Spruch, er habe „in seiner Dentistenpraxis defätistische Äußerungen getan (…) Dadurch hat er unseren Willen zu tapferer Wehr zersetzt und unseren Kriegsfeinden geholfen. Er ist für immer ehrlos und wird mit dem Tode bestraft.“

Die Entschädigungskammer des Landgerichts Hannover lehnte am 15. Juli 1955 die Ansprüche der Witwe von Wilhelm Weber auf Hinterbliebenenrente und Haftentschädigung ab, weil „der Ehemann der Klägerin nicht wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus seinerzeit verurteilt und hingerichtet worden ist.“ Ironie der Geschichte: Die Witwe von Roland Freisler, der seit 1925 Mitglied der NDSAP war, erhielt eine „Kriegsopferfürsorgerente“ und ab 1974 einen „Berufsschadensausgleich“, weil ihr Mann nach der Zerschlagung des Faschismus als Anwalt ein höheres Einkommen hätte erzielen können. Diese Argumentation galt bis in die 1990er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland als gesetzeskonform.

Das Adressbuch der Stadt Hannover enthält für das Jahr 1938 den Eintrag: „M. Topf, Maßschneiderei, Aegidiendamm 8, T. 84624“. Dort lebte von Februar 1934 bis zum Oktober 1938 der Schneidermeister Huna, genannt Henry Topf mit seiner Frau Marjam und den drei Kindern Doba Elka, genannt Doris, Szejma, genannt Sonja und Isaak, genannt Julius. Die Familie stammte aus der Provinz Posen und war, über Hildesheim kommend, 1930 nach Hannover gezogen. Als polnische Staatsangehörige wurden alle Mitglieder der Familie Topf am 28. Oktober 1938 aus Deutschland ausgewiesen und nach Polen abgeschoben. Marjam Topf und ihre drei Kinder wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Einzig Henry Topf überlebte die Nazi-Barbarei im KZ Dachau. Er kehrte 1953 nach Hannover zurück und starb am 28. September 1970 in München. Sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Hannover-Bothfeld. Am 30. September wurden in Anwesenheit seiner Nachkommen fünf Stolpersteine für Henry Topf und seine Familie vor dem Haus Aegidiendamm 8 verlegt.

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult