Er ist ein wirklich wichtiger Sozialdemokrat, aber in den wirklich wichtigen sozialdemokratischen Nachschlagewerken, „Chronik der deutschen Sozialdemokratie von Franz Osterroth und Dieter Schuster, sowie „Kleine Geschichte der SPD“ von Heinrich Potthoff und Susanne Miller findet er keine Erwähnung: Otto Brenner.

Lediglich Willy Brandt führt Otto Brenner in seinen „Erinnerungen“ auf als Zeugen für die Bereitschaft Kurt Schumachers, linkssozialistische Abweichler aus der Spätphase der Weimarer Republik wieder in die SPD aufzunehmen. Das Ereignis, auf das sich Willy Brandt bezieht, nennt der Schumacher- Biograph Peter Merseburger in seinem Buch „Der schwierige Deutsche“ die „kleine Vereinigungskonferenz“. Sie findet — durchaus richtungsweisend — am 20. August 1945 in Hannover statt, wenige Wochen vor der legendären „Reichskonferenz von Wennigsen“. Neben Otto Brenner, der als Vertreter der „Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) teilnimmt, sind aus England Willi Eichler und der spätere niedersächsische Innenminister Otto Bennemann angereist, die für den „Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK)“ sprechen. Das gemeinsame Ziel dieser „kleinen Vereinigungskonferenz“ ist es, unter dem alten Namen SPD eine neue linke Partei diesseits der KPD zu bilden.

Dass der Hannoveraner Otto Brenner an der kleinen Konferenz teilnimmt, mag auf den ersten Blick erstaunen, aber zwei Gründe machen seine Teilnehme zwingend: zum Einen findet die Besprechung in der britischen Besatzungszone in Hannover statt und zum andern ist Otto Brenner der letzte Vorsitzende des SAP-Bezirks Hannover-Braunschweig aus der Vornazizeit. Gewählt wird er in dieses Amt Anfang 1932. Da ist er gerade mal 24 Jahre alt und ein zorniger junger Mann, der die „Kapitulationspolitik“ von SPD und Gewerkschaften anprangert und zur „Einheitsfront“ von SPD, KPD und SAP aufruft.

Geboren wird Otto Friedrich Brenner — seinen zweiten Vornamen wird er nie benutzen — am 8. November 1907 in einem Hinterhaus in der Stolzestraße 17A, das die Eltern Otto Friedrich und Anna erst Anfang Oktober, aus Halle kommend, mit zwei kleinen Töchtern bezogen haben. Der Vater, ein gelernter Orthopädiemechaniker, ist überzeugter Sozialdemokrat und erhofft für sich und seine Familie in Hannover ein besseres Auskommen als im krisengeplagten Halle. „Große Sprünge“ kann sich die Familie Brenner allerdings auch in Hannover nicht leisten. Der Wochenlohn eines Schlossers liegt 1907 bei knapp 27 Reichsmark und die Mutter muss trotz dreier Kinder mit Wäscherei- und Bügelarbeiten hinzuverdienen. Dennoch beschreibt Otto Brenner seine frühe Kindheit später als „fast sorgenlos“.

Nach der Geburt des zweiten Sohnes am 29. Januar 1909 wird die Wohnung in der Stolzestraße zu kleine und Familie Brenner bezieht eine andere Hinterhauswohnung .1914 wird Otto Brenner in die Volksschule in der Schlägerstraße eingeschult und es folgen „trostlose Jahre der Kindheit“, wie er später berichtet, denn der Vater wird bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges eingezogen und kehrt erst 1920 zur Familie zurück. Die Familie bezieht nun eine kleinere Wohnung in der Großen Barlinge 57. Den Familienunterhalt bestreitet Anna Brenner alleine und die Kinder versuchen nach Kräften, sie dabei zu unterstützen. Otto Brenner arbeitet nach dem Unterricht bereits mit zehn Jahren als Botenjunge.

Im Dezember 1918 erkrankt Otto Brenner an der „spanischen Grippe“, der allein in Deutschland 200.000 Menschen zum Opfer fallen. Der kleine Otto überlebt, bleibt aber Zeit seines Lebens krankheitsanfällig, was sich auf seine Lebensgestaltung auswirken soll. Er ernährt sich vegetarisch, raucht nicht und trinkt äußerst selten Alkohol. 1920 wird Otto Brenner Mitglied der „Arbeiterjugend“, die alsbald in „Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ)“ umbenannt wird. Nach der Schulentlassung aus der achten Klasse wird der begabte Otto Metallhilfsarbeiter und trägt mit schwerer körperlicher Arbeit zum Familien unterhalt bei. Er wird Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Das wird ihn prägen. Die Arbeit als Nietenpesser schädigt den ohnehin gesundheitlich labilen Otto Brenner zusätzlich. Fast ein halbes Jahr muss er mit geschädigten Lungen und Bronchien in einer Heilanstalt verbringen. Dort wird er gut betreut und lernt die Romane von Jack London kennen. Auch das wird ihn prägen.

Nach dem Klinikaufenthalt schlägt sich Otto Brenner in den Zeiten der großen Wirtschaftskrise mit Gelegenheitsarbeiten durch und findet Zeit, sein politisches Engagement zu intensivieren. In der SAJ-Gruppe, die sich regelmäßig im Ausflugslokal „Bella Vista“ an der Leine zusammenfindet, macht er die Bekanntschaft von zwei Frauen, die für ihn wichtig werden. Er lernt die Schriften von Rosa Luxemburg kennen und Martha Werner, die er 1932 heiraten wird. In der SAJ übernimmt Otto Brenner den Vorsitz der Abteilung Südstadt, was dem heutigen Juso-Vorsitz gleichkommt. 1926 tritt Otto Brenner der SPD bei und gründet den Landesverband des „Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bundes“.

1928, Otto Brenner hat sich inzwischen zum Elektromonteur weitergebildet, übernimmt er seine erste gewerkschaftliche Funktion. Er wird zum Vertrauensmann gewählt und vertritt die Elektriker als Branchenverantwortlicher im Deutschen MetallarbeiterVerband in Hannover. Im selben Jahr positioniert sich Otto Brenner im Rahmen der so genannten „Panzerkreuzerdebatte“ gegen die SPD, die die Reichstagswahlen mit der Parole „Für Kinderspeisung - gegen Panzerkreuzerbau“ gewonnen hatte. Als Vorsitzender der hannoverschen SAJ gerät er in Widerspruch zum Reichsvorsitzenden Erich Ollenhauer, der voll auf Parteilinie liegt und sich Einmischungen von SAJ-Gliederungen in Parteibeschlüsse verbittet.

Das hält den überzeugten Pazifisten Otto Brenner nicht davon ab, weiterhin Kritik an der Parteiführung zu üben. In Hannover wird er zu einem der schärfsten Gegner der Tolerierungspolitik gegenüber den Nazis. Auch in Hannover geht die Partei nun dazu über, Kritiker aus der SPD zu drängen. In Hannover werden August Holweg und Egon Franke beauftragt, Otto Brenner aus der SAJ zu entfernen. Als das nicht gelingt, schließt ihn der Vorstand des SPD-Ortsvereins als Leiter des „Marxistischen Arbeitskreises“ im Juni 1931 aus der SPD aus. Mit einigen anderen „Ausgestoßenen“ schließt sich Otto Brenner der neu gegründeten SAP an und propagiert die Idee einer proletarischen Einheitsfront von SPD, KPD und SAP.

Die Machtübertragung an die Nazis trifft Otto Brenner nicht unvorbereitet. Der Beschluss des SAP-Vorstands, die Partei auflösen und den Mitgliedern den Anschluss an die SPD zu empfehlen, schockiert ihn allerdings. Brenner beginnt mit der Organisation der illegalen Arbeit in seinem SAP-Bezirk. Am 30. August 1933 wird Otto Brenner festgenommen und kommt in Untersuchungshaft. Im Juni 1935 wird er mit einigen anderen Genoss*innen wegen Hochverrats angeklagt und zu der vergleichsweise milden Strafe von zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Am 30. August wird Otto Brenner aus der Haft entlassen und zieht zu seiner Frau Martha, die inzwischen in Hannover-Buchholz wohnt. Von da an steht er bis zur Zerschlagung Nazi-Deutschlands unter Polizeiaufsicht.

Nach der Befreiung Hannovers am 10. April 1945 muss Otto Brenner schnell erkennen, dass der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft nicht auf dem Programm der alliierten Verwaltung gehört. Wichtiger ist zunächst die Linderung der Alltagsnot der Menschen. Dazu wird auch in Hannover ein „Ausschuss für Wiederaufbau (AfW)“ gegründet, dem Otto Brenner angehört. Daneben übernimmt er den Vorsitz der Wohnungsbaugenossenschaft Gartenheim. Der AfW wird bereits am 2. Juni 1945 wieder aufgelöst, weil den Alliierten die politische Zusammensetzung nicht gefällt. In der kurzen Phase des AfW werden entscheidende Weichen für die Neuorganisierung der Gewerkschaften gestellt. Der AfW-Vorsitzende Albin Karl und Otto Brenner werden beauftragt, mit den britischen Besatzungsbehörden über die Gründung eines aus einzelnen Industriegewerkschaften gestehenden Einheitsgewerkschaftsbundes zu verhandeln.

Am 24. Mai 1945 wird ein vorläufiger Vorstand gewählt, dem Albin Karl angehört. Otto Brenner wird stellvertretender Vorsitzender der Wirtschaftsgruppe Metall. Auf der ersten ordentlichen Delegiertenkonferenz der Wirtschaftsgruppe Metall wird Otto Brenner am 8. April 1946 zum Vorsitzenden gewählt. Parallel dazu engagiert er sich lokalpolitisch und wird Mitglied des Rates der Stadt Hannover und gehört der dem Oberbürgermeister unterstellten Wohnungskommission an. Außerdem engagiert sich Otto Brenner in der Entnazifizierungskommission Hannovers.

Neben der Einheitsgewerkschaft, die er erfolgreich mit auf den Weg gebracht hat, hegt Otto Brenner trotz der in der sowjetisch besetzten Zone erzwungenen Vereinigung von SPD und KPD zur SED immer noch ein wenig Hoffnung auf eine geeinte politische Linke. In seinem Schwager Edu Wald findet er auf Seiten der KPD einen Partner, in dessen Wohnung in der Stolzestraße 39 abseits der Parteilinien Möglichkeiten freiheitlicher sozialistischer Zusammenarbeit erörtert werden. An dieser „Skatrunde“ nahm seitens der KPD deren Bezirksleiter Kurt Müller und seitens der SPD Siggi Neumann teil, der das Ostbüro der SPD mit gegründet hatte. Die Gespräche scheitern. Kurt Müller und Edu Wald werden später Mitglieder der SPD.

Überregional macht sich Otto Brenner einen Namen bei der Organisation des „Bode-Panzer-Streiks“. Die Firma des Vorsitzenden der Metallarbeitgeber und ehemaligen Wehrwirtschaftsführers Hermann Bode weigert sich, die ohnehin nur rudimentär vorhandenen Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte einzuhalten. Da der Organisationsgrad bei Bode-Panzer bei rund 90 Prozent liegt und Bode als alter Nazi eine Hassfigur ist, bereiten Otto Brenner und die für Hannover zuständigen Gewerkschaftssekretäre sorgfältig den ersten richtigen Streik der Nachkriegszeit vor. Der mehrwöchige Streik endet zwar mit einem Kompromiss, wird aber auf dem Erfolgskonto der Wirtschaftsgruppe Metall gutgeschrieben. Otto Brenner resümiert: „Die Produktionsstätten dürfen nicht Einzelnen, sondern müssen dem ganzen Volke dienen. Voraussetzung dazu ist das volle Mitbestimmungsrecht der Arbeiter und Angestellten im Betrieb und in der Wirtschaft.

Mit dem Bode-Panzer-Streik fällt eine Vorentscheidung über Otto Brenners weiteren politischen Weg. 1947 wird der „Eiserne Otto“ zum Bezirksleiter der nunmehr gegründeten IG Metall gewählt, deren Gründung er maßgeblich mit angeschoben hatte. Noch agiert Otto Brenner zweigleisig und arbeitet im Rat der Stadt Hannover und in der Gewerkschaft. 1951 zieht er sogar in den Niedersächsischen Landtag ein, in dem er als Vorsitzender des Ausschusses für Sozialangelegenheiten tätig ist. Nachdem er 1952 gemeinsam mit Otto Brümmer den Vorsitz der IG Metall übernommen hatte, zieht sich Otto Brenner 1954 weitgehend aus der Parteipolitik zurück und scheidet aus dem Landtag aus.

1956 wird Otto Brenner zum alleinigen Vorsitzenden der IG Metall gewählt und bleibt dies bis zu seinem frühen Tod am 15. April 1972. In seine Amtszeit fallen so bedeutsame Errungenschaften wie der Ausbau der gewerkschaftlichen Mitbestimmung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Arbeitszeitverkürzung und eine expansive Lohnpolitik. Für die gesellschaftliche Entwicklung der noch jungen Bundesrepublik Deutschland ist Otto Brenners Engagement für die Kampagne „Kampf-dem-Atomtod“ und gegen die Notstandsgesetze von nachhaltiger Bedeutung. Der Arbeiterjunge aus der Südstadt hat sich so ein Denkmal gesetzt, obwohl er kein großer Freund steingemeißelten Ehrungen war.

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult