Alle Jahre wieder, wenn an die Ereignisse des 20. Juli 1944 erinnert wird, fällt geradezu zwangsläufig der Name Stauffenberg und der eine oder die andere fragt sich unwillkürlich wie Brechts lesender Arbeiter: „Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“ Die Beschäftigung mit dem Widerstand gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft ist jahrelang sehr nachlässig vonstatten gegangen. Lediglich Sophie Scholl konnte dank der unnachgiebigen Arbeit Inge Aicher-Scholls zur „Ikone des Widerstands“ werden. Das war‘s dann aber auch schon im westlichen Teil des gespaltenen Deutschland. Dass die DDR vor allem den kommunistischen Anteil am Widerstand herausstellte, liegt auf der Hand. Allen gebührt Respekt, denn sie haben mehr getan als viele vermeintliche Helden der inneren Emigration: Sie haben ihr Leben riskiert, und viele tausend Menschen haben ihr riskantes Handeln nicht überlebt. Daran erinnert kaum jemand: Das Vergessen ist seit den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland grundlegender Bestandteil der Erinnerungskultur.

Eine dieser „Vergessenen“, Die Diplomatengattin Marie Louise von Scheliha, beschreibt in ihren Erinnerungen an die eigene Haftzeit: „Ein feines schmales Gesicht fällt mir auf. Der Blick ist nach innen gekehrt. Plötzlich im Vorbeigehen ein Hauch: ‚Erhalten Sie sich, ich bin hier ohne Namen, damit mich niemand finden kann, ich bin in der Zelle 25, vergessen Sie mich nicht, wenn Sie wieder frei kommen, ich heiße ...‘. Den Namen konnte ich nicht mehr verstehen.“ Die Frau, der Marie Louise von Scheliha auf dem Gefängnisflur begegnet war, hieß Mildred Harnack. Sie wurde als Mitglied der von der Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichneten Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe am 16. Februar 1943 in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Marie Louise von Scheliha und Mildred Harnack sind zwei von vielen Frauen, deren Lebens- und Leidenswege bis heute nahezu unerforscht sind. Dabei standen diese Frauen im Widerstand gegen Hitler keineswegs im Abseits oder agierten im Schatten der Männer des Widerstands. Daran erinnert die Göttinger Historikerin Frauke Geyken mit einem bahnbrechenden Buch, in dem sie die Schicksale von sechs Frauen darstellt. Es gelingt ihr, ein Zeitbild zu entwerfen, in dem Geschichte und Geschichten lebendig werden. Frauke Geyken schildert, wie diese Frauen, allesamt Töchter aus „guten Häusern“, zum Widerstand kamen, welche Freundschaften sie pflegten und was sie durchleiden mussten: während der Zeit des Nazi-Terrors und in den Jahren nach der Befreiung vom Faschismus. Das ist bedrückend, beeindruckend und höchst spannend.

„Für sie war mit dem Tod des geliebten Ehemannes, nein, eigentlich schon mit der eigenen Verhaftung, den Tagen im Nazi-Gefängnis, ihre Welt untergegangen“, erinnerte sich die Tochter von Marie Louise von Schelija Jahrzehnte später. Für andere Frauen aus dem Widerstand war das Überleben zwar ebenso hart, aber nicht so entmutigend. Annedore Leber, Ehefrau des am 5. Januar 1945 ermordeten SPD-Reichstagsabgeordneten Julius Leber, klagte 1951 gegen Otto Ernst Remer. Der war maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstands vom 20. Juli 1944 beteiligt und hatte als unbelehrbarer Nazi die Aufständischen als „Landesverräter“ beschimpft. Der zuständige niedersächsische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der im skandinavischen Exil überlebt hatte, erhob Anklage wegen „übler Nachrede“ und brachte für kurze Zeit den Widerstand auf die Agenda der widerwilligen westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Remer wurde zwar verurteilt, eine Strafe allerdings musste er nie absitzen.

Annedore Leber, die während der Leidensjahre ihres Mannes dessen wichtigste Vertrauensperson war, widmete sich hernach dem Andenken der vielen, überwiegend stillen Heldinnen und Helden des Widerstands. Gemeinsam mit Willy Brandt und dem Historiker Karl Dietrich Bracher veröffentlicht Annedore Leber 1954 „Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand von 1933 -1945“ mit dem Titel „Das Gewissen steht auf“. Das Buch erlebte etliche Auflagen und gilt zu Recht bis heute als Meilenstein der biografischen Darstellung des deutschen Widerstands. 1960 veröffentlicht Annedore Leber gemeinsam mit Freya von Moltke das Buch „Für und Wider“, das die Jahre des Widerstands für junge Leser aufbereitete. Annedore Leber starb am 28. Oktober 1968 in Berlin. Dort gibt es einige Stätten der Erinnerung. Im Rest der Republik geriet die „Nachlassverwalterin des deutschen Widerstands“, wie Frauke Geyken die große Sozialdemokratin Annedore Leber nennt, in Vergessenheit. „Dabei“, so Frauke Geyken, „ist ihr Leben doch der beste Beweis für die Aussage Marion Yorck von Wartenburgs: ‘Wir Frauen haben bei alledem nicht im Abseits gestanden.‘ “


Frauke Geyken, WIR STANDEN NICHT ABSEITS, C.H.Beck-Verlag, München, 352 S., € 24,95


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36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult