Völlig unscheinbar biegt, parallel zur Hans-Böckler-Allee, die Kippstraße von der Schwesternhausstraße ab. Die Sackgasse liegt zwischen dem Studierendenwohnheim und dem Gebäude der Bundeswehrverwaltung. Die Straße entstand 1900 als Weg zum Schwesternhaus. Seit 1933 ist sie nach dem Juristen Theodor Kipp benannt.

Theodor Kipp

Theodor Kipp, Foto: Ferdinand Steffen, Erlangen, © UB der HU zu Berlin, Porträtsammlung
Theodor Kipp Foto: Ferdinand Steffen, Erlangen, © UB der HU zu Berlin, Porträtsammlung

Louis Theodor Kipp wird am 10. April 1862 in Hannover geboren. Über seine Kindheit und Schulzeit gibt es keine Aufzeichnungen. Kipp studiert in Göttingen bei Rudolf von Ihering und in Leipzig bei Bernhard Windscheid die Rechtswissenschaften. Beide Hochschullehrer zählen Ende des 19. Jahrhunderts zur Elite der deutschen Juristen. In Leipzig wird er 1883 summa cum laude für eine Arbeit über den „Eigentumserwerb an Wildergut“ promoviert. 1887 folgt Kipps Habilitation. Noch im selben Jahr wird er außerordentlicher Professor für römisches und bürgerliches Recht in Halle. 1889 erhält Theodor Kipp den Ruf auf den Lehrstuhl für römisches und bürgerliches Recht in Kiel, vier Jahre später geht er in gleicher Funktion nach Erlangen. 1901 beruft ihn die Friedrich-Wilhelms-Universität — die heutige Humboldt-Universität — auf den Lehrstuhl für römisches und bürgerliches Recht mit den besonderen Arbeitsschwerpunkten Familienrecht und Erbrecht.

Theodor Kipp ist seines scharfen Sachverstandes wegen ein vielfach gefragter Gutachter und Fachautor. Einige seiner Bücher und Buchbeiträge gelten zu seiner Zeit als Standardwerke. so seine „Geschichte der Quellen des römischen Rechts“ und das von ihm überarbeitete „Lehrbuch des Pandektenrechts“ seines Lehrers Bernhard Windscheid, das mit immerhin acht Auflagen erscheint. Pandektenrecht ist das auf dem römischen Recht basierende deutsche Zivilrecht, das nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches nur noch ein historisches Lehr- und Forschungsgebiet darstellt.

In die deutsche Rechtsgeschichte geht Theodor Kipp mit der Formulierung der „Doppelwirkung im Recht“ ein. Diese nach ihm benannte „Kipp’sche Lehre von der Doppelnichtigkeit“ gewährt die Möglichkeit, ein Rechtsgeschäft, das von einem Gericht für nichtig erklärt worden ist, noch einmal anfechten zu können. Wer zum Beispiel ein Rechtsgeschäft wegen Wuchers erfolgreich angefochten hat, kann auf der Grundlage der Kipp’schen Lehre wegen arglistiger Täuschung erneut klagen und Schadensersatz einfordern. Bildlich gesprochen heißt dies, dass jemand, der wegen des Anzündens eines Hauses verurteilt wird auch wegen der Folgekosten belangt und verurteilt werden kann. Das ist ein klarer Bruch mit der bis dahin geltenden Rechtsgeschäftslehre. Erst in den 1950er Jahren akzeptiert auch der Bundesgerichtshof diesen juristischen Ansatz und seither gehört er zur „herrschenden Meinung“.

Theodor Kipp ist zu seiner Zeit ein hoch geachteter Gelehrter. Ein Kollege beschreibt ihn als „Vorbild vollendeter Selbstzucht, des Maßes und der Harmonie in jeder Äußerung und Leistung, des vollendeten, bis zur Messerschärfe klaren Ausdrucks, des kraftvollen und gewissenhaften Denkens, der äußersten Sachlichkeit des Wortes und der Haltung“. Kipps Haltung ist eindeutig: deutschnational und kriegsverherrlichend. Als er 1914 das Amt des Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität übernimmt, setzt er sich in seiner Rektoratsrede mit „Kriegsaufgaben der Rechtswissenschaft“ auseinander und beschreibt seinen Wunsch nach einem Frieden der „Deutschland und das treu verbündete Österreich auf mindestens ein halbes Jahrhundert sicherstellt vor der Machtgier der russischen Dynastie und den Strebungen des Panslawismus, vor der Habsucht und dem Neide Englands und uns Deutsche besonders vor der verletzten Eitelkeit und dem Revanchedurst Frankreichs.“

Wenige Wochen nach der weitgehenden Zerstörung der belgischen Stadt Löwen durch deutsche Truppen zwischen dem 25. und 28. August 1914, gehört Theodor Kipp zu den Mitunterzeichnern des „Manifest der 93“ mit dem Titel „An die Kulturwelt“. Wider alle schon damals bekannten Erkenntnisse heißt es zu diesem Kriegsverbrechen: „Es ist nicht wahr, dass unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das Rathaus ist gänzlich unversehrt.“ Dass hunderte von schutzlosen Zivilisten getötet worden sind sehen die Verfasser des Manifests als „Kollateralschaden“ und die Zerstörung der international bedeutenden Universitätsbibliothek wird billigend in Kauf genommen mit den Worten: „Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.“

Kipps „eindeutige Haltung“ könnte 1933 der Anlass gewesen sein, die kleine Straße nach ihm zu benennen. Theodor Kipp, der von 1929 bis 1931 Vorsitzender der „Juristischen Gesellschaft zu Berlin“ war, stirbt am 2. April 1931 in Ospedaletti in Italien.

Theodor Kipp
Foto: Ferdinand Steffen, Erlangen, © UB der HU zu Berlin, Porträtsammlung


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