Wer wissen will, warum Luise Nordhold im Sommer 1984 mit ihrer Freundin Sophie Böhlsdorf nach China reiste, muss eine Reise in beider Jugendzeit antreten. Aus Bremer Arbeiterfamilien stammend, stellen sie die Fragen lesender Arbeiterinnen, tauschen Bücher der Büchergilde Gutenberg aus und begeistern sich für Pearl S. Buck. Die hat China bereist und in ihrem 1931 auf Deutsch erschienenen Buch „Die gute Erde“ ein Plädoyer für das Verständnis fremder Kulturen und eine Welt ohne Rassismus verfasst. Im selben Jahr wird Luise Nordhold Genossin und ist es bis heute geblieben.

Genau genommen ist Luise Nordhold „von der Wiege an“ Sozialdemokratin. Geboren wird sie am 12. März 1917 in Bremen als erstes Kind von Tine und Wilhelm Haverich. Sie wächst im Arbeiterstadtteil Gröpelingen auf, wo auch ihre beiden Brüder zur Welt kommen. Vater Wilhelm ist Dreher bei der AG Weser und wird dort als gewerkschaftlicher Vertrauensmann in den Betriebsrat gewählt. Aus Überzeugung und Vorsorge für die Familie gehört er zu den Gründern des Arbeiterkonsumvereins. „Wo Vater auftauchte, da war immer was los“, erinnert sich Luise Nordhold. Tine Haverich ist Schneiderin und hält das Geld zusammen, das Wilhelm ohne Umwege über Kneipen abliefert.

Luise Haverich ist ein wissbegieriges Kind und mit vielen Interessen begabt. In der Schule glänzt sie bei Aufsatz und Diktat ebenso, wie bei Handarbeiten, im Turnen und In der Musik. Nach vier Volksschuljahren erhält sie eine Empfehlung zur „höheren Schule“, die die Eltern jedoch — mit Stolz erfüllt — aus finanziellen Gründen ablehnen müssen. Luise besucht weiterhin die Volksschule und nach dem achten Jahr eine Haushaltsschule.

Das Leben der Familie Haverich ist durch und durch „rot“. Der Gesangverein ist „rot“, der Turnverein ist „rot“, der Kleingartenverein ist „rot“. Dass Luise zu den „Roten Falken“ kommt, ist da nur konsequent. 1927 wird sie Mitglied bei den Kinderfreunden, und daher ist es auch nachvollziehbar, dass der Beginn ihrer SPD-Mitgliedschaft in dieses Jahr datiert wird. Schon früh liest Wilhelm Haverich Hitlers „Mein Kampf“ und diskutiert darüber mit der Familie. „Wir wussten als Antinazi, dass dies zum Krieg führen würde“, schreibt Luise Nordhold später. Bis heute ist sie davon überzeugt, dass alle hätten wissen können, was Hitler wollte.

Während des Nazi-Terrors hat sie sich, manchmal an der Grenze des Erträglichen, für bedrängte Genossinnen und Genossen eingesetzt. Nach der Befreiung vom Faschismus hat sich Luise Nordhold vor allem in der AWO engagiert, hat lange den Kontakt zu Dresdner Sozialdemokrat*innen gehalten, als diese zunehmend unter Einheitsparteidruck gerieten und hat sich für deutsch-israelische Verständigung eingesetzt. Sie war und sie ist „wer“ in Bremen.

Immer wieder haben Freund*innen und Verwandte gesagt: „Luise, schreib das doch mal auf“. Das hat sie gelegentlich auch getan, aber dann ist Tim Jesgarzewski vor einigen Jahren in ihr Leben getreten, hat sich ihre Lebensgeschichte angehört und mit Hilfe von Helmut Donat eine beeindruckende Biographie von Luise Nordhold verfasst, zu der Bremens ehemaliger erster Bürgermeister Hans Koschnick, ein Gröpelinger wie Luise Nordhold, eine Geleitwort beigesteuert hat. „Wer wissen will, wie es damals war, findet in dieser Biografie viel Erhellendes und wird gewiss erkennen, dass Widerstehen und konkreter Widerstand dieselben Wurzeln haben“, schreibt Koschnik.

Als Luise Nordholds Biografie 2011 zum ersten Mal veröffentlicht wird, heißt es zum Abschluss: „Dankbar ist sie dafür, ihre Urenkel erleben zu dürfen.“ Nun durfte sie im Alter von 100 Jahren erleben, dass ihr ältester Urenkel Mitglied der SPD geworden ist. Welch ein schöner Abschluss für ein durch und durch sozialdemokratisches Leben.

Lothar Pollähne


Tim Jesgarzewski, Für Freundschaft, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, 192 S., 2. überarbeitete Auflage, Donat-Verlag, Bremen, 2017, 12,80 €

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