Es ist schon außergewöhnlich, wenn in der New York Times und im britischen Guardian ganzseitige Rezensionen über ein Buch eines deutschen Autors erscheinen. Ebenso außergewöhnlich ist, dass dieses Buch in Deutschland nahezu unbekannt und nur in gut sortierten Antiquariaten zu finden ist. Dabei ist der Autor kein Unbekannter. Zwei seiner vielen Buchtitel sind bis heute jedem Kind geläufig: „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ und „Kleiner Mann, was nun?“. Nur wenige allerdings verbinden mit diesen Sätzen Hans Fallada.

Ende 1945 erhält Fallada, der die Nazizeit in der „Inneren Emigration“ überlebt hat, vom nachmaligen DDR-Kultusminister Johannes R. Becher einen Packen mit originalen Gestapo-Unterlagen. Nach Durchsicht der Akten veröffentlicht Hans Fallada Ende 1945 in der Zeitschrift Aufbau einen Aufsatz, in dem er über seine Durchsicht dieser Akten berichtet:

„Ein dünner Band Akten liegt vor mir, etwa 90 Seiten stark, begonnen und zum Hauptteil ausgeschrieben von der Gestapo in Berlin, beendet von den Volksgerichtshof, ebenfalls in Berlin. In diesem Band Akten erfüllt sich das Schicksal zweier Menschen; nun, in meine Hände gekommen, soll er den Rohstoff für einen Roman abgeben“. Der letzte Satz von Falladas Artikel lautet: „Ich, der Autor eines noch zu schreibenden Romans, hoffe es, daß ihr Kampf, ihr Leiden, ihr Tod nicht ganz umsonst waren:“

Am 30. September 1946 schließt Hans Fallada mit dem Aufbau-Verlag den Vertrag über die Verfertigung eines Romans. Danach setzt er sich - trotz allen Mangels um ihn herum mit allen Produktionsmitteln ausgestattet - ans Werk und schreibt und schreibt und schreibt. Wochenlang hat Fallada überlegt, dann hat er den ersten Satz. „Die Briefträgerin Eva Kluge steigt langsam die Stufen im Treppenhaus Jablonskistraße 55 hoch.“

Das ist der Beginn einer Biographie des lautlosen Widerstands, denn der Brief, den Eva Kluge an die Eheleute Quangel ausliefert, enthält die Nachricht, dass ihr einziger Sohn an der Westfront gefallen ist. Etwas zerbricht in den Quangels und gleichzeitig baut sich etwas auf, von die alternden Eheleute noch nicht wissen, wohin es sie führen wird, in den Tod. Anna und Otto Quangel haben sich billigend eingerichtet mit den neuen Herren, Anna hat sogar einen Posten in der NS-Frauenschaft, aber sie handeln nach der Devise „Die da unten müssen doch sowieso alles ausbaden“. Die Nachricht vom Tode des geliebten Sohnes verändert alles. Anna und Otto Quangel wollen ihr Schicksal nicht hinnehmen und überlegen, wie sie mit ihren bescheidenen Mitteln andere vor den Folgen des Krieges warnen können.

Anna schreibt Postkarten, die sie und später auch Otto in Briefkästen und Hausfluren hinterlegen, beschimpft den Schurken Hitler und die Goebbels-Bande und ahnt nicht, was sie damit auslöst: eine Gestapo-Aktion, die in ihrer absurden, stochernden Hektik Auskunft gibt über den „gewöhnlichen Faschismus“. Die Gestapo-Aktivitäten sind nach zwei Jahren eher zufällig erfolgreich und werden abgeschlossen von Menschen wie „du und ich“. Das ist das beunruhigende Gewöhnliche dieses Buches von Hans Fallada, von dem der Auschwitzüberlebende italienische Schriftsteller Primo Levi sagte, es sei „das beste Buch das je über den deutschen Widerstand geschrieben wurde“. „Ein literarisches Großereignis“, wie es der Rezensent der New York Times nannte, ist es in jedem Fall.

Hans Falladas Chronik hat den Titel „Jeder stirbt für sich allein“, ist über 700 Seiten lang und fesselt von der ersten Zeile an. Die letzte Zeile beginnt mit den Worten: „Denn was man gesät hat, soll man auch ernten...“. Seit 2011 ist Hans Falladas kolossaler Roman in der Originalfassung auch in Deutschland erhältlich. Wer sich in der Vergangenheit schlau machen möchte für die Herausforderungen der Zukunft, ist bei Hans Fallada bestens aufgehoben. lopo

Hans Fallada, Jeder stirbt für sich allein, Aufbau-Verlag Berlin, 2011, 704 S., € 12,99

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