Die SPD Südstadt-Bult begrüßt die Umbenennung der Alten Döhrener Straße entlang des Engesohder Friedhofs in Orli-Wald-Allee. Wir freuen uns sehr, dass unser erneuter politischer Vorstoß jetzt die Verwaltung veranlasst hat, eine Straße zu Ehren einer herausragenden Widerstandskämpferin und Südstädter Frau zu benennen, so der SPD-Ortsvereinsvorsitzende und südstädter Ratsherr Thomas Hermann. Was 2004 trotz eines einstimmigen Votums für den rot-grünen Antrag im Bezirksrats durch eine anschließende Ablehnung durch die Verwaltung noch misslang, ist nun von Erfolg gekrönt: der Bezirksrat Südstadt-Bult stimmte der Verwaltungsvorlage einstimmig zu.

Orli (Aurelia) Wald (1914 1962) Widerstandskämpferin,
NS-Verfolgte, 1936 1945 inhaftiert, u.a. im KZ Auschwitz,
Mithäftlinge nannten sie Engel von Auschwitz

Dieser kurze Text steht auf dem Legendenschild einer Straße, die in der Südstadt Hannovers nach Orli Wald benannt werden wird. Hinter diesen wenigen Zeilen verbirgt sich die dramatische Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau.

Als sechstes Kind der Familie Torgau wurde Aurelia (später nur noch Orli genannt) am 1. Juli 1914 in Bourell bei Maubeuge in Frankreich geboren. Hier hatte der Vater eine Arbeit als Lokomotiv-Mechaniker gefunden. Doch nach Beginn des ersten Weltkrieges wurde die deutsche Familie interniert, kurze Zeit später die Mutter mit den Kindern ins Deutsche Reich deportiert, der Vater blieb aber bis 1919 in Frankreich interniert. So lernte Orli von klein auf Not, Arbeitslosigkeit und Unrecht kennen. Als Konsequenz daraus war sie schon in jungen Jahren aktiv politisch tätig und war in Trier Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten arbeitet sie im politischen Widerstand.

1935 heiratete sie den Baufacharbeiter Fritz Reichert. Diese Ehe dauerte nur wenige Monate, sie scheiterte auch, weil Reichert verlangte, dass Orli ihre Widerstands- und Kuriertätigkeit aufgeben sollte. 1936 reichte Reichert die Scheidung ein, er war inzwischen Nationalsozialist geworden und gehörte der SA an. In die 36köpfige Widerstandsgruppe wurde ein Spitzel eingeschleust. Durch diesen und vermutlich durch die Aussagen Reicherts, kam es 1936 zur Verhaftung von Orli und ihrer Widerstandsgruppe.

Gemeinsam mit ihren Brüdern wurde Orli vor Gericht gestellt. Sie wurde wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens im Alter von 22 Jahren zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Zur Verbüßung dieser Haft kam sie in das Frauenzuchthaus Ziegenhain bei Kassel. Während ihrer Haft, 1939, wurde die Ehe mit Fritz Reichert geschieden. Nach Verbüßung ihrer Haftzeit wurde sie jedoch nicht frei gelassen, sondern 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort verband die eine Freundschaft mit Margarete Buber-Neumann, die als Folge des Stalin-Hitler-Paktes und nach Ermordung ihres Mannes Heinz Neumann nach Deutschland ausgeliefert worden war. Eine Begegnung, die für Orlis spätere Entwicklung bestimmend werden sollte.

Im März 1942, in dem Jahr, in dem die Massentötungen in den Konzentrationslagern begannen, wurde Orli mit dem ersten Frauentransport vom Konzentrationslager Ravensbrück in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert. In diesem Vernichtungslager, hier im neu errichteten Frauenlager, erhielt sie die Häftlingsnummer 502 und musste im Häftlingskrankenhaus, dem so genannten Krankenbau arbeiten. Im Krankenbau des Hauptlagers Auschwitz und später des Nebenlagers Birkenau, dem eigentlichen Vernichtungslager, erlebte sie unbeschreibliche Gräuel. Hier wurde sie mit unmenschlichen Verhältnissen konfrontiert, mit SS-Ärzten und Sanitätspersonal, die, statt zu helfen, Verbrechen begingen. Die Krematorien zur Massentötung befanden sich in unmittelbarer Nähe des Krankenbaues.

Auch im Konzentrationslager, unter ständiger Lebensgefahr leistete Orli Widerstand: Sie gehörte der deutschen Widerstandsgruppe an, die u. a. versuchte, Kontakte im riesigen Lagerkomplex Auschwitz, Monowitz und Birkenau zu unterhalten, Nachrichten nach draußen zu bringen und Mithäftlingen zu helfen.

1943 wurde sie Lagerälteste im Häftlingskrankenhaus. In dieser Funktion rettete sie, unter ständiger Gefährdung ihres eigenen Lebens, Mithäftlinge vor dem Hungertod, andere durch Verstecken und Austauschen der Krankenakten vor dem Tod in der Gaskammer, u. a. auch die jüdische Häftlingsärztin. Orli beschrieb später, wie Neugeborene abgespritzt und Mütter ins Gas geschickt wurden, und wie sie darunter gelitten hat, dass sie nicht noch mehr Mithäftlinge retten konnte. Nur mit Not und schwer krank überlebte sie selbst. Ihre Mithäftlinge nannten sie wegen ihrer mutigen und selbstlosen Hilfe anerkennend Engel von Auschwitz. Im Januar 1945, vor Eintreffen der sowjetischen Armee, wurden die noch lebenden Insassen aus dem KZ Auschwitz evakuiert. Auch Orli kam auf einen dieser Todesmärsche zurück in das KZ Ravensbrück und in das Nebenlager Malchow. Im April 1945 gelang ihr von hier mit einer Gruppe von Frauen die Flucht. Doch sie wurde von Rotarmisten aufgespürt und missbraucht.

Von den Folgen ihrer langjährigen Haftzeit, vor allen Dingen im KZ Auschwitz, war sie seelisch und körperlich schwer gezeichnet. Schwere Operationen, Aufenthalte in Krankenhäusern und Sanatorien waren die Folge. Trotzdem wollte sie eine tatkräftige und aufgeschlossene Frau bleiben. Aber ihre schwere Erkrankung machte die publizistische Arbeit in Berlin zunichte.

Im Sanatorium Sülzhayn/Harz lernte sie den Redakteur Eduard Wald kennen. Er war Widerstandskämpfer und Häftling wie sie gewesen. Sie heirateten 1947. Jetzt konnte sie auch den verhassten Namen Reichert ablegen. Beide hatten aus Protest gegen die stalinistischen Verfolgungen und die Machenschaften der SED gerade gegen ehemalige NS-Verfolgte wie sie - Konsequenzen gezogen und nahmen offensiv und öffentlich Stellung. Edu Wald wurde ein führender sozialdemokratischer Gewerkschafter, auch Orli Wald trat 1951 der SPD bei. Viele Jahre wohnten sie in der Südstadt von Hannover, Am Grasweg 12.

Mit autographischen Kurzberichten in verschiedenen Publikationen versuchte Orli ihre traumatischen Erlebnisse zu bewältigen. Bei dem hannoverschen Kunstmaler Erich Wegener, einem Freund der Familie Wald, lernte sie Malen. Aber all das, und auch nicht die liebevolle Fürsorge ihres Mannes und die Zuwendung von Freunden und Weggefährten, konnten die Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse verbannen und sie vor Suizidversuchen und Aufenthalten in Sanatorien bewahren. Als sie für den Frankfurter Auschwitzprozess aussagen sollte und wollte wurden ihre Erinnerungen schon bei den vorbereitenden Befragungen so übermächtig, dass sie einen totalen Zusammenbruch erlitt. Sie erlebte diesen Prozess nicht mehr. Am 01.01.1962 verstarb Orli Wald in der psychiatrischen Heilanstalt in Ilten, 48 Jahre alt.

In ihrer Heimatstadt Trier wurde Orli Wald im Februar 2007 durch die Verlegung eines so genannten Stolpersteins geehrt, aber in Hannover wird eine Straße ihren Namen tragen: Die Orli-Wald-Allee wird in Fortsetzung der Alten-Döhrener-Straße entlang des Friedhofs Engesohde verlaufen, auf dem Orli Wald ihre letzte Ruhestätte gefunden hat.

Text von Manfred Menzel

Weitere Auskünfte erteilen Manfred Menzel (Tel. 881607) und Thomas Hermann (Tel. 0171/2886308).

36. Osterfeuer der SPD Südstadt-Bult