Wider das Vergessen Ansprache von Bezirksbürgermeister Lothar Pollähne zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933
Als am 10. Mai 1933 der braune akademische Mob Hand anlegte und der festen Überzeugung war, den deutschen Geist mit Hilfe eines Fegefeuers erstrahlen zu lassen, gab es das demokratische Deutschland schon seit vielen Wochen nicht mehr. Dieses Deutschland und alle, die für dieses Deutschland standen, waren den studierten Brandstiftern verhasst. Für sie galt ein Schlagwort, das auch dieser Tage wieder gerne von rechten Deutschen als Kampfbegriff benutzt wird: die Lügenpresse.
Für die Nazis und ihre Gefolgskohorten waren dies vor allem die Organe der KPD und der SPD, deren Erscheinen schon unmittelbar nach der Machtübertragung an die Nazis dauerhaft verhindert wurde. Vor allem aber galt es für ein Blättchen, das nicht nur den Nazis , sondern auch den Deutschnationalen und Nationalkonservativen als Brutstätte des Landesverrats galt: Die Weltbühne.
Als am 10. Mai 1933 der braune akademische Mob Hand anlegte, nahm er auch die Werke von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky und warf sie ins Feuer. Zu diesem Zeitpunkt lebte der schwermütige Tucholsky schon seit geraumer Zeit im Ausland und der zu gutgläubige Carl von Ossietzky war in den Folterkellern der Nazis verschwunden. Die Weltbühne zu vernichten, war für die Nazis beinahe wichtiger, als die Parteiorgane von KPD und SPD auszuschalten. Die Weltbühne war die Tribüne des demokratischen Deutschland und damit der Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Einfalt. Und den repräsentierten neben Tucholsky und Ossietzky viele andere Autoren, von denen ich einige kurz aus der Vergessenheit holen möchte.
Der Kulturpsychologe Rudolf Arnheim, der von 1928 bis zum Ende Kulturredakteur und Filmkritiker der Weltbühne war, konnte im August 1933 nach Italien emigrieren, wo er am Filminstitut des Völkerbundes Arbeit fand. 1939 floh er nach London und ein Jahr darauf in die Vereinigten Staaten, wo er als Kunstpsychologe unter anderem an der Harvard Universität lehrte.
Der radikaldemokratische Pazifist Helmut von Gerlach, seit 1926 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Menschenrechte, übernahm 1932 die politische Leitung der Weltbühne für den inhaftierten Carl von Ossietzky. Gerlach floh 1933 zunächst nach Österreich und dann nach Paris. Von dort aus betrieb er die Kampagne für die Verleihung des Friedensnobelpreises an Ossietzky.
Der revolutionäre Pazifist Kurt Hiller war mit Unterbrechungen einer der dienstältesten Autoren der Weltbühne. Bereits 1915 hatte er Artikel für das Vorgängerblatt Schaubühne geschrieben. Nach der Machtübertragung an die Nazis wurde Kurt Hiller in mehreren Gefängnissen und Konzentrationslagern gefoltert, bevor er 1934 zunächst nach Prag und 1938 nach London flüchten konnte.
Der Theaterkritiker Walther Karsch schrieb seit 1930 für die Weltbühne. Nach Carl von Ossietzkys Inhaftierung übernahm der erst 28jährige Karsch als so genannter Sitzredakteur die presserechtliche Verantwortung für das Blättchen. Nach der Vernichtung der Weltbühne erhielt Karsch Berufsverbot und arbeitete bis zur Zerschlagung des Nationalsozialismus als Handelsvertreter. Walther Karsch war in West-Berlin einer der Mitgründer des Tagesspiegel.
Der revolutionäre Lyriker Franz Leschnitzer schrieb hauptsächlich für kommunistische Publikationen. Von 1925 bis 1928 war er auch als Autor für die Weltbühne tätig. Leschnitzer flüchtete 1933 über die Tschechoslowakei in die Sowjetunion, wo er für internationale Zeitungen arbeitete.
Bestürzend tragisch ist die Geschichte Felix Fechenbachs. Der sozialdemokratische Pazifist wurde nach der Novemberrevolution in München Sekretär des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner und Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates. Nebenbei arbeitete er für deutsche und internationale Zeitungen und berichtete über paramilitärische Geheimbünde. Dafür wurde Fechenbach 1922 wegen vermeintlichen Landesverrats zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt. Die demokratische Presse bezeichnete dieses Justizverbrechen als „deutsche Dreyfus-Affäre“. 1924 wurde Felix Fechenbach begnadigt und konnte beim Reichsgericht die Aufhebung des Skandalurteils erwirken. Von 1925 bis 1929 arbeitete Felix Fechenbach als Redakteur bei der sozialdemokratischen Tageszeitung „Vorwärts“ und schrieb Theaterstücke. Bis zum 15. Januar 1933 leitete Fechenbach die sozialdemokratische Tageszeitung „Volksstimme“ in Detmold. Danach erhielt er von den Nazis, die die Landtagswahlen im Freistaat Lippe gewonnen hatten, Schreib- und Redeverbot. Am 11. März verhafteten die Nazis Felix Fechenbach und steckten ihn in so genannte „Schutzhaft“. Am 7. August wurde Felix Fechenbach beim Transport ins Konzentrationslager Dachau in einem Wäldchen bei Detmold erschossen; „auf der Flucht“, wie die Nazis hernach behaupteten.
Kurt Tucholsky, der mit Sicherheit Kenntnis von dieser schrecklichen Tat hatte, schrieb am 11. April 1933, also einen Monat vor der Bücherverbrennung an den Dramatikerfreund Walter Hasenclever, der bereits seit 1932 im Ausland lebte: „Dass unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher: Werde ich erst amal das Maul halten.“ Resigniert fügte er hinzu: „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.“
Walter Hasenclever – auch dessen Werke wurden am 10. Mai 1933 nur wenige Meter von diesem Ort entfernt verbrannt — war bereits kurz nach der Machtübertragung ausgebürgert worden. In seinen Erinnerungen mit dem bezeichnenden Titel „Die Rechtlosen“ versuchte Hasenclever die Stimmung vieler verbrannter Dichter in Worte zu fassen und blieb dabei genauso hoffnungslos wie Kurt Tucholsky: "Wie wir da im Garten sitzen, vielleicht zum letzten Mal, am ersten Kriegstage in dieser friedlichen Landschaft, muss ich plötzlich weinen. Fassungslos. Rettungslos. Wir Verbannten. Wir Heimatlosen. Wir Verfluchten. Was haben wir noch für ein Recht zu leben? Und die anderen müssen sterben!!...Was wir gedacht und geschrieben haben, was wir, Angehörige eines Volkes, das nie seine Dichter begriffen hat, dennoch glaubten verkünden zu müssen - es versinkt im Gespensterzug der Dämonen. Diese Welt existiert nicht mehr.“
Auch Walter Hasenclever, der sich am 21 Juni 1940 nach dem Einmarsch der Nazis in Frankreich im Internierungslager Les Milles bei Aix en Provence das Leben nahm, ist heute nahezu vergessen. An ihn und die vielen anderen verbrannten Dichter zu erinnern bleibt die dauerhafte Pflicht der Nachgeborenen.
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