Parallel zur Mainzer Straße erschließt eine kurze Stichstraße einen Teil des Neubaugebietes, das nach dem Zweiten Weltkrieg längs des Altenbekener Damms errichtet worden ist. Seit 1954 ist der Weg nach der Malerin Paula Modersohn-Becker benannt. Unerfindlich ist, warum der Weg nicht Modersohn-Becker-Weg genannt worden ist.

Paula Modersohn-Becker

Paula Modersohn-Becker um 1900, Herkunft unbekannt

Im Jahr 1900 macht Paula Becker in Paris die Entdeckung, die ihr künstlerisches Leben und die deutsche Kunstlandschaft prägen wird. Bei einem Galeristen stößt sie auf Gemälde des noch völlig unbekannten Paul Cezanne und ist „hin und weg“. Zu dieser Zeit ist Minna Hermine Paula Becker, so ihr Geburtsname, bereits eine hoffnungsvolle Nachwuchsmalerin aus dem Umfeld der Worpsweder Künstlerkolonie.

Geboren wird Paula am 8. Februar 1876 in Dresden als drittes Kind von Carl Woldemar und Mathilde Becker. Die Familie gilt als weltoffen und liberal. Der Vater ist als Ingenieur in Moskau, St. Petersburg und London aktiv gewesen und spricht mehrere Sprachen, die Mutter ist eine Geborene von Bültzingslöwen. Auch diese Familie ist weltoffen. Brüder von Mathilde Becker sind nach Indonesien, Neuseeland und Australien ausgewandert. Kunst, Literatur und Musik werden in der Familie Becker hoch geschätzt und stehen im Mittelpunkt der Erziehung der Kinder.

1888 zieht die Familie Becker nach Bremen, wo der Vater eine Stelle als städtischer Baurat annehmen kann. Für Paula ist dies ein Glücksfall, denn Bremen verfügt über eine rege künstlerische Szene, zu der vor allem Mathilde Becker intensive Kontakte pflegt. Paula darf im elterlichen Haus ihr erstes Atelier beziehen. 1892 wird Paula zu Verwandten nach London geschickt, damit sie dort Englisch und Haushaltsführung lerne. Glücklich ist sie dort nicht, denn sie leidet unter Heimweh und dem autoritären Gebaren ihrer Tante. Aber sie hat Glück im Unglück. Mit Unterstützung ihres Onkels kann sie eine private Kunstschule besuchen und erhält täglich sechs Stunden Zeichenunterricht.

Nach ihrer Rückkehr nach Bremen besucht Paula Becker ab 1893 ihrem Vater zuliebe ein Lehrerinnenseminar. Damit „erkauft“ sie sich die Möglichkeit, privaten Malunterricht erhalten zu können. In diesem Jahr malt sie ihr erstes Selbstporträt und porträtiert ihre Geschwister. Auch die Begegnung mit dem Worpsweder Künstlerkreis fällt in dieses Jahr. Fritz Mackensen, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler und ihr späterer Ehemann Otto Modersohn bestreiten die Frühjahrs-Ausstellung der Kunsthalle Bremen.

Im Frühjahr 1896 reist Paula Becker nach Berlin, um dort an einem sechswöchigen Mal- und Zeichenkurs des Vereins der Berliner Künstlerinnen teilzunehmen, jener Schule, an der schon Käthe Kollwitz ihre Ausbildung begonnen hatte. Mit Unterstützung der mütterlichen Familie kann sie die Ausbildung an der Damenakademie des Vereins fortsetzen. Im Sommer 1897 reist Paula Becker mit den Eltern zum ersten Mal nach Worpswede und ist begeistert von den Farben der Landschaft.

Nachdem sie Anfang 1898 eine kleine Erbschaft gemacht hat und von kinderlosen Verwandten eine auf drei Jahre befristete jährliche Rente von 600 Mark zugesprochen bekommt, geht Paula Becker im Herbst nach Worpswede, wo sie Malunterricht bei Fritz Mackensen erhält. Den empfindet sie zunächst anregend, aber nach kurzer Zeit muss sie sich eingestehen, dass sie mit ihrer Form- und Farbgebung auf wenig Gegenliebe stößt. Ihre erste Ausstellungsbeteiligung in Bremen wird zum öffentlichen Desaster. Die Weser-Zeitung berichtet am 20. Dezember 1899: „Hätte eine solche Leistungsfähigkeit auf musikalischem oder mimischem Gebiet die Frechheit gehabt, sich in den Konzertsaal oder auf die Bühne zu wagen, es würde alsbald ein Sturm von Zischen und Pfeifen dem groben Unfug ein Ende gemacht haben“. Für Paula Becker ist damit klar, dass sie außerhalb der allgemein akzeptierten deutschen Kunstszene steht.

Anfang 1900 reist Paula Becker zum ersten Mal nach Paris, wo sie an der Académie Colarossa studiert. Da sie nach wie vor von der kleinen Rente lebt, kann sie sich ein Zimmer in einem Ateliergebäude leisten. Allein oder mit ihrer Freundin Clara Westhoff durchstreift sie Museen und Galerien auf der Suche nach Inspirationen und sie wird fündig. In den Räumen des Kunsthändlers Ambroise Vollard entdeckt sie Arbeiten von Paul Cézanne. Kurz vor ihrem Tod schreibt Paula am 21. Oktober 1907 an Clara Westhoff, dass Cézanne „einer von den drei oder vier Malkräften ist, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter und ein großes Ereignis.“

Am 25. Mai 1901 heiratet Paula Becker den Worpsweder Maler Otto Modersohn, dessen erste Frau im Jahr zuvor gestorben war. Das erlöst sie von der Notwendigkeit einen Brotberuf, etwa als Gouvernante, annehmen zu müssen. Stattdessen kann sie sich neben der Erfüllung der Familienpflichten, zu der auch die Betreuung der Stieftochter Elsbeth gehört, nun der Malerei in einem eigenen Atelier widmen. So richtig glücklich ist Paula Modersohn-Becker im engen Worpswede nicht. Das bemerkt auch ihr Mann Otto, der die ländliche Stille genießt. „Paula kann einfach nicht so schlicht, nüchtern leben. Solch anregendes Leben ist ihr wie der Blume die Sonne notwendig — sie verkümmert, verbittert sonst“, notiert Otto Modersohn in seinem Tagebuch.

Bildnis: Paula Modersohn-Becker Selbstporträt, 1906, Privatbesitz

Im Frühjahr 1903 reist Paula Modersohn-Becker für zwei Monate nach Paris, verbringt viel Zeit im Louvre und besucht Auguste Rodin und pflegt ihre Freundschaft mit der Familie Rilke. Nach ihrer Rückkehr nach Worpswede entstehen bis Ende 1904 gut 130 Gemälde, darunter viele Kinderporträts. Sie werden als Ausdruck ihres Kinderwunsches angesehen. Viele Gemälde tragen deutliche Zeichen einer gründlichen Beschäftigung mit Paul Gauguin. 1905 reist Paula Modersohn-Becker wieder nach Paris und studiert Gauguin und Cezanne. Danach wendet sie sich in ihrem eigenen künstlerischen Schaffen dem Stillleben zu. Rainer Maria Rilke charakterisiert Paula Modersohn-Becker 1906 nach einem Besuch in Worpswede mit den Worten: „Das merkwürdigste war, Modersohns Frau in einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, die sehr worpswedisch sind und die noch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berührend.“

Anfang 1906 verlässt Paula Modersohn-Becker Worpswede und ihren Mann und geht abermals nach Paris, wo sie sich mit dessen Unterstützung ein kleines Atelier einrichten kann. Sie bleibt hin- und hergerissen zwischen Paris, Worpswede und Otto Modersohn. Im Oktober 1906 kann sie ihn überzeugen, nach Paris zu kommen und einen gemeinsamen Neuanfang zu versuchen. Auch Otto Modersohn bezieht ein Atelier und beide haben eine „sehr denkwürdige, hochanregende Zeit“, notiert er in sein Tagebuch.

Gemeinsam kehren sie im März 1907 nach Worpswede zurück und Paula wird endlich schwanger, malt aber nur noch wenig. Am 2. November wird die gemeinsame Tochter Mathilde geboren. Am 20. November stirbt Paula Modersohn-Becker an den Folgen einer Embolie. Otto Modersohn, der zusammen mit Heinrich Vogeler ihren Nachlass aufbereitet, notiert in seinem Tagebuch: „Es ist nicht auszudenken, was noch alles entstanden wäre, wenn sie noch länger gelebt hätte. Sie träumte in den letzten Monaten viel von Italien, das sie nie gesehen, von Akten im Freien, von großfigurigen Bildern. Man kann nur ahnen, was sie der Welt noch geschenkt hätte.“



Foto: Paula Modersohn-Becker um 1900, Herkunft unbekannt
Bildnis: Paula Modersohn-Becker Selbstporträt, 1906, Privatbesitz

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