Vom Bertha-von-Suttner-Platz führt die Stresemannallee in südlicher Richtung bis zur Trierer Straße, wo sie in die Saarstraße übergeht. Benannt ist sie seit 1929 nach dem nationalliberalen Politiker und Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann. Unter den Nazis hieß die Straße von 1933 bis 1945 „Viktor-Lutze-Allee“.

Gustav Stresemann

Nur wenige Politiker — Friedrich Ebert einmal ausgenommen — haben die „Weimarer Republik“ so sehr geprägt wie Gustav Stresemann. Geboren wird er am 10. Mai 1878 in Berlin als Gustav Ernst Stresemann. Seine Eltern betreiben eine Schankwirtschaft und einen Bierverlag. Als einziges von acht Geschwistern kann Gustav Stresemann das Gymnasium besuchen, das er 1897 nach dem Abitur verlässt.

Wegen seiner schwachen Gesundheit, die ihn sein Leben lang plagt, wird Stresemann vom Militärdienst befreit. Er studiert in Berlin und Leipzig zunächst Geschichte und Literatur, wechselt aber bald zur Nationalökonomie. Bereits 1901 schließt er das Studium mit einer Promotionsarbeit über „Die Entwicklung des Berliner Flaschenbiergeschäfts“ ab. Seine erste Arbeitsstelle findet Gustav Stresemann beim „Verband deutscher Schokoladenfabrikanten“ in Dresden. Es gelingt ihm, mit viel Verhandlungsgeschick bei den Schokoladenfabrikanten einen Mindestpreis für das damalige Luxus-Konsumgut zu erwirken.

1902 wird Stresemann Geschäftsführer des Bezirksverbandes Dresden/Bautzen im Bund der Industriellen (BdI) und bewirkt die Gründung des Verbandes sächsischer Industrieller, als deren Syndikus er bis 1919 tätig sein wird. In dieser Funktion tritt Stresemann für die Gründung eines zentralen Arbeitgeberverbandes ein. Politisch tritt Stresemann zunächst für den nationalsozialen Verein Friedrich Naumanns ein. Als dieser sich 1903 auflöst, wird er Mitglied der Nationalliberalen Partei, in der er schnell vorankommt.

1906 wird Stresemann in den Dresdner Stadtrat gewählt, ein Jahr später kandidiert er erfolgreich im Wahlkreis Annaberg für den Reichstag. Dabei gelingt es ihm opportunistisch, sich mit nationalen, imperialistischen Reden als überzeugten Kolonialpolitiker darzustellen. Stresemann kann den bis dato sozialdemokratischen Wahlkreis gewinnen und zieht als jüngster Abgeordneter in den Reichstag ein. 1912 verliert er sein Mandat und wird Präsidiumsmitglied im Bund der Industriellen.

1914 kann Gustav Stresemann in einer Nachwahl den Wahlkreis Wittmund-Aurich gewinnen und zieht wieder in den Reichstag ein, wo er sich als „Annexionist“ einen Namen macht. Er befürwortet Gebietserweiterungen im Osten und im Westen, plädiert für den „Erwerb“ weiterer Kolonien und den uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen Großbritannien. Dies soll nach seinen Plänen vor allem der Sicherheit Deutschlands dienen. Heute würde Gustav Stresemann mit diesen militaristischen Positionen zu den Falken zählen.

Gegen Ende des Kaiserreichs wandelt sich Stresemann zum Protagonisten einer parlamentarischen Monarchie und er vertritt das gleiche Wahlrecht und damit auch das Frauenwahlrecht. Nach der Novemberrevolution spalten sich die Nationalliberalen. Am 20. November 1918 wird die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) gegründet. Die konservativen Liberalen antworten am 15. Dezember mit der Gründung der Deutschen Volkspartei (DVP), deren erster Vorsitzender Gustav Stresemann wird. Obwohl im Herzen immer noch Monarchist, tritt Stresemann als Realpolitiker für die Republik ein, und als Gegner des Versailler Vertrags hütet er sich, öffentlich gegen das Regelwerk aufzutreten. Stattdessen setzt er zunehmend auf eine Verständigungspolitik mit den westliche Staaten, vor allem mit Frankreich.

Auf dem Gipfelpunkt der Wirtschaftskrise, die mit galoppierender Inflation einhergeht, übernimmt Gustav Stresemann am 13. August 1923 in einer Koalition aus Sozialdemokraten, Zentrum, DDP und DVP das Amt des Reichskanzlers. Zusätzlich wird er Außenminister, was für die anstehenden Verhandlungen mit Frankreich über die Zukunft des Ruhrgebietes besondere Bedeutung hat. Am 2. November 1923 entzieht die SPD Stresemann ihr Vertrauen, weil es ihm nicht gelingt, aufständische Bestrebungen in Bayern von rechts, in Sachsen und Thüringen von links gleich zu behandeln. Während Stresemann die reichsfeindlichen Bayern gewähren lässt, ordnet er den Einsatz der Reichswehr in Sachsen und Thüringen an, obwohl die an den jeweiligen Landesregierungen beteiligten Kommunisten sich nicht verfassungsfeindlich verhalten. Sttresemann kommt dem Misstrauensantrag der SPD zuvor, stellt im Reichstag am 22. November selbst die Vertrauensfrage, und scheitert als Reichskanzler. Nicht jedoch als Außenminister. In diesem Amt bleibt Gustav Stresemann bis zu seinem Tod am 3. Oktober 1929.

Diese Jahre begründen seinen Nachruhm. Stresemanns vordringliches Ziel ist die Wiederherstellung der deutschen Gleichberechtigung auf internationaler Ebene. Dazu bedarf es multilateraler Verträge und eines klaren Bekenntnisses zur Entspannungspolitik. Beides strebt Stresemann an, und das macht ihn zum Hassobjekt der nationalen Rechten. Am 1. September 1924 tritt der „Dawes-Plan“ in Kraft, mit dem die Reparationsleistungen Deutschlands geregelt werden. Obwohl der Plan Deutschland eine internationale Anleihe in Höhe von 800 Millionen Reichsmark zugesteht, was sich stabilisierend auf die Wirtschaft auswirkt, wird der Dawes-Plan erst nach zähen Verhandlungen im Reichstag angenommen.

Im Februar 1925 bringt Gustav Stresemann einen Sicherheitspakt zwischen England, Frankreich, Italien und Deutschland ins Gespräch, das die U.S.A. als Garantiemacht absichern soll. Dies führt schließlich im Oktober 1925 zum Vertrag von Locarno, der Deutschland auch den Eintritt in den Völkerbund öffnet. Ein Freundschaftsvertrag mit der UdSSR ebnet im April 1926 den Weg zur Vollmitgliedschaft und zum Sitz im Völkerbundsrat. Für seine Verdienste im Zusammenhang mit der Konferenz von Locarno und seinen Einsatz für die deutsch-französische Versöhnung erhält Gustav Stresemann gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand 1926 den Friedensnobelpreis. Die nationale Rechte in Deutschland reagiert ablehnend und beschimpft Stresemann als „Erfüllungspolitiker“.

Gustav Stresemann, der sein Leben lang kränklich ist, und seine Amtsgeschäfte mehrfach durch Kuraufenthalte unterbrechen muss, stirbt am 3. Oktober 1929 an den Folgen eines Schlaganfalls. Der deutsche Publizist Harry Graf Kessler notiert in Paris in seinem Tagebuch: „Alle Pariser Morgenzeitungen bringen die Nachricht vom Tode Stresemanns in größter Aufmachung. Es ist fast so, als ob der größte französische Staatsmann gestorben wäre. Die Trauer ist allgemein und echt. Man empfindet, dass es schon ein europäisches Vaterland gibt.“ So weit geht die Wertschätzung in deutschen Landen nicht, auch wenn Stresemann zu Ehren in Berlin ein Staatsbegräbnis abgehalten wird.


Gustav Stresemann Fotograf unbekannt Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1989-040-27


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