Vom „Kurt-Schwitters-Platz" führt die Willy-Brandt-Allee in nördlicher Richtung bis zum „Friedrichswall“. Benannt ist sie seit 1996 nach dem Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Von etwa 1897 bis 1952 war die Allee Teil der „Rudolf-von-Bennigsen-Straße“, danach hieß sie bis 1996 „Am Maschpark“. An der Willy-Brandt-Allee liegt das „Niedersächsische Landesmuseum“ und an der Ecke zum „Friedrichswall“ das Gebäude der Norddeutschen Landesbank.

Willy Brandt

Willy Brandt - Foto: lopo
Willy Brandt

Als er das Empfinden hat, ein Neigen des Kopfes genüge nicht, sinkt Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos auf die Knie. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ Der Spiegel-Reporter Hermann Schreiber notiert: „Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland.“ Für ein Deutschland, das er 1933 aus Angst um sein Leben verlassen musste.

Geboren wird Willy Brandt am 18. Dezember 1913 in Lübeck und nach dem Geburtsnamen seiner Mutter auf den Namen Herbert Ernst Karl Frahm getauft. Seinen Vater lernt er nicht kennen. Der Junge wächst bei seinem Großvater Ludwig Frahm, einem SPD-Mitglied, auf. Das Verhältnis zur Mutter ist so unterkühlt, dass Willy Brandt später von der Frau, „die meine Mutter war“, spricht.

Nachdem er als Kind bereits bei den „Kinderfreunden“ aktiv war, schließt sich der junge Herbert 1926 in Lübeck der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ (SAJ) an. 1930 wird er auf Vorschlag des Lübecker Reichstagsabgeordneten Julius Leber in die SPD aufgenommen. Leber, Chefredakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Lübecker Volksbote“, wird Frahms erster Mentor und bestärkt den Gymnasiasten in seinem Wunsch, Journalist werden zu wollen. 1931 bricht Herbert Frahm mit seinem Mentor Julius Leber, dem er „Mutlosigkeit“ vorwirft, und schließt sich der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAPD) an. Damit ist ihm 1932 nach dem Abitur der Weg zum Journalismus zunächst versperrt und er beginnt ein Volontariat in einer Lübecker Schiffsmaklerei.

Nach der Machtübertragung an die Nazis flieht Herbert Frahm über Dänemark nach Norwegen und nimmt den Tarnnamen „Willy Brandt“ an. Von Oslo aus leitet er die Aktivitäten des Jugendverbandes der SAPD und hält Kontakte zu sozialistischen Jugendorganisationen anderer Länder. 1936 organisiert Willy Brandt die Kampagne zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky. Im selben Jahr reist er unter dem Decknamen „Gunnar Gaasland" für einige Monate nach Berlin, um Verbindung zu SAPD-Genoss*innen im Untergrund aufzunehmen. Im Auftrag einiger norwegischer Zeitungen reist Willy Brandt 1937 nach Spanien, um über den Kampf der linkssozialistischen POUM gegen die Franco-Faschisten zu berichten. Mit Glück kann er rechtzeitig aus Spanien abreisen, bevor die stalinistische spanische Kommunistische Partei viele POUM-Mitglieder verhaftet und liquidiert.

Am 5. September 1938 wird Willy Brandt von den Nazis ausgebürgert und lebt als Staatenloser in Norwegen. Nach der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wird Brandt kurzzeitig verhaftet, aber nicht enttarnt. Nach seiner Entlassung flieht er ins benachbarte, neutrale Schweden und arbeitet von Stockholm aus wieder als Journalist. 1940 wird ihm in Schweden die norwegische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Gemeinsam mit anderen europäischen Sozialist*innen, wie Bruno Kreisky, Gunnar und Alva Myrdal und Fritz Bauer, bildet Willy Brandt 1942 die „Internationale Gruppe demokratischer Sozialisten“, die als „Kleine Internationale“ in die Geschichtsbücher eingeht und die Wiederannäherung an die Sozialdemokratie betreibt.

Im Herbst 1945 kehrt Willy Brandt nach Deutschland zurück, um als Korrespondent für skandinavische Zeitungen über die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher zu berichten. Auf Vorschlag des norwegischen Außenministers geht Willy Brandt 1946 als Presseattaché zur Norwegischen Militärmission nach Berlin. Das bestimmt sein weiteres Leben.

Nachdem er 1948 die deutsche Staatsbürgerschaft wiedererlangt hat, beginnt 1949 seine politische Karriere. Willy Brandt zieht als Westberliner Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Im Jahr darauf wird er Mitglied des Abgeordnetenhauses in Westberlin, dem er ab 1955 als Präsident vorsitzt. Nach dem Tod Otto Suhrs wird Willy Brandt am 3. Oktober 1957 in dessen Nachfolge zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Zwei Ereignisse prägen Brandts Amtszeit und begründen seinen internationalen Ruf: das Chruschtschow-Ultimatum von 1958, mit dem der DDR die Kontrolle über die Zugangswege nach Westberlin ermöglicht werden soll, und der Mauerbau vom 13. August 1961. Das Chrutschtschow-Ultimatum kann Brandt mit Hilfe der Alliierten abwenden, beim Mauerbau stößt er vor allem beim US-Präsidenten John F. Kennedy auf Widerstand. Der empfiehlt Brandt, die deutsche Teilung als Realität anzusehen.

1961 kandidiert Willy Brandt zum ersten Mal als Kanzlerkandidat der SPD gegen den greisen Konrad Adenauer, der jedoch trotz herber Verluste weiter mit der FDP regiert. Nachdem er 1964 als Nachfolger Erich Ollenhauers den Vorsitz der SPD übernommen hat, tritt Willy Brandt 1965 erneut als Spitzenkandidat seiner Partei an, dieses Mal gegen Ludwig Erhard. Brandt verliert wieder, ist frustriert und zieht sich nach Berlin zurück. Eine weitere Kandidatur für das Amt des Bundeskanzlers lehnt Brandt ab. Als Vorsitzender der SPD wird er auf dem Parteitag im Juni 1966 mit 326 von 426 Stimmen in seinem Amt bestätigt.

Willy Brandts Abschied von der großen Bühne ist nur von kurzer Dauer. Als Ludwig Erhard am 1. Dezember 1966 von seinem Amt als Bundeskanzler zurücktritt und Kurt Georg Kiesinger — dem Wunsche vieler Christ- und Sozialdemokrat*innen folgend — eine große Koalition bildet, übernimmt Willy Brandt das Außenministerium und wird Vizekanzler. In diese Dienstjahre fällt der allmähliche Abschied von der „Hallstein-Doktrin“, die jahrelang den „Alleinvertretungsanspruch“ der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben hatte. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien und Rumänien ist Ausdruck dieser Auflockerung.

Zur Bundestagswahl am 28. September 1969 tritt Willy Brandt erneut für die SPD als Spitzenkandidat an. Zwar bleiben CDU und CSU knapp vorne, aber gemeinsam mit der FDP reicht es zur sozial-liberalen Mehrheit. Am 21. Oktober 1969 wird Willy Brandt zum ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. In seiner ersten Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 steckt Brandt die Ziele seiner Regierung mit zwei Leitsätzen ab: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ und „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden — im Inneren und nach außen“.

Egon Bahr wird zu Brandts Architekten für die „Neue Ostpolitik“ mit der Losung „Wandel durch Annäherung“. Am 19. März 1970 durchbricht Willy Brandt eine weitere Doktrin des „Kalten Krieges“ und trifft sich in Erfurt mit Willi Stoph, dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR. Am 12. August desselben Jahres unterzeichnet Willy Brandt den „Moskauer Vertrag“, der die Unverletzlichkeit der deutschen Nachkriegsgrenzen festschreibt. Dem folgt am 7. Dezember 1970 die Unterzeichnung des „Warschauer Vertrags“ — und damit die Anerkennung der „Oder-Neiße-Grenze“.

Mit der Unterzeichnung des „Transitabkommens“ mit der DDR beginnt am 17. Dezember 1971 die schrittweise Entspannung der deutsch-deutschen Beziehungen, die am 21. Dezember 1972 mit dem Abschluss des „Grundlagenvertrags“ fortgesetzt wird. Für seine konsequente Ostpolitik erhält Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis zuerkannt. In seiner Dankesrede erklärt der Kanzler am 11. Dezember 1971: „Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio.“

Innenpolitisch sind die ersten Jahre der Regierung Brandt durch gewichtige gesellschaftspolitische Reformen geprägt. Das Scheidungs- und Abtreibungsrecht wird reformiert, das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt, das „Bafög“ für Studierende aus einkommensschwachen Familien eingeführt, das Betriebsverfassungsgesetz wird modernen Erfordernissen der Mitbestimmung gemäß gestaltet, und Mieter*innen erhalten mehr Rechte gegenüber Vermieter*innen. Das sorgt für höhere Staatsausgaben und führt zum Rücktritt der Fachminister Alex Möller und Karl Schiller.

Ein großer Schatten fällt auf die Reformjahre: der „Radikalenerlass“, den Willy Brandt gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder am 28. Januar 1972 in Kraft setzt; mit ihm werden Linke oder auch nur vermeintlich Linke zu „Verfassungsfeinden“ erklärt und aus dem öffentlichen Dienst herausgehalten oder entfernt. Damit konterkariert Brandt seinen eigenen Anspruch: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. 1976 bezeichnet er den „Radikalenerlass“ als „Irrtum“.

Am 24. April 1972 stellt der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion Rainer Barzel im Bundestag die Vertrauensfrage gegen Willy Brandt. Da einige Abgeordnete der Regierungsparteien das Lager gewechselt haben, wähnt sich Barzel im Besitz der Mehrheit für das konstruktive Misstrauensvotum und scheitert, weil zwei Abgeordnete seiner Fraktion von der Stasi bestochen worden waren. Im September stellt Willy Brandt — nunmehr ohne eigene Mehrheit — die Vertrauensfrage und scheitert. Bundespräsident Gustav Heinemann löst daraufhin das Parlament auf.

Am 19. November 1972 kommt es zur vorgezogenen Neuwahl des Bundestages, bei der die SPD stärkste Kraft im Lande wird. Willy Brandt bildet daraufhin die zweite sozialliberale Koalition. In Brandts zweite Amtszeit fällt der erste Besuch eines deutschen Kanzlers in Israel und die erste Rede eines deutschen Kanzlers vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Brandt mit einem bemerkenswerten, fast prophetischen Satz beginnt: „Ich spreche zu Ihnen als Deutscher und als Europäer. Genauer: mein Volk lebt in zwei Staaten und hört doch nicht auf, sich als eine Nation zu verstehen.“

Die Enttarnung des persönlichen Referenten Günter Guillaume als Stasi-Agent am 24. April 1974 markiert den formalen Anlass zum Rücktritt Willy Brandts, den der Kanzler am Abend des 6. Mai verkündet. Hauptgrund für den Rücktritt dürften jedoch Intrigen der SPD-Granden Helmut Schmidt und Herbert Wehner gewesen sein, die Brandts Regierungskompetenz in Frage stellen. Willy Brandt zieht sich aus der ersten Reihe der Politik zurück, bleibt aber Bundestagsabgeordneter und bis 1987 Vorsitzender der SPD. Außerdem amtiert er weiterhin bis 1992 als Vorsitzender der „Sozialistischen Internationale“.

Trotz seines Verständnisses, dass sich das deutsche Volk als „eine Nation“ verstehe, halten Willy Brandt und andere prominente Mitstreiter seiner Entspannungspolitik die Hoffnung auf die staatliche Einheit Deutschlands jahrelang für eine „Lebenslüge“. Überrascht vom Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, fliegt Willy Brandt einen Tag später nach Berlin, wo er am Abend an der großen Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus teilnimmt und eine Rede hält. Seinen wohl berühmtesten Satz, „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, hat er dort jedoch nicht geäußert. Er ist erst später von ihm in das Redemanuskript eingefügt worden. Dass Berlin — auch auf seinen Antrag hin — am 20. Juni 1991 vom Bundestag zur Bundeshauptstadt bestimmt wird, muss dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister West-Berlins späte Genugtuung gewesen sein.

Willy Brandt stirbt nach längerer Krankheit am 8. Oktober 1992 in seinem Haus in Unkel in Rheinland-Pfalz. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Waldfriedhof Zehlendorf in Berlin.

Willy Brandt Foto: lopo


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